Im Gedenken an Erika Pallua – Ärztin, Humanistin, Widerstandskämpferin
Zivilcourage zeigen in Zeiten der Angst: Das tat Ärztin Erika Pallua mit ihrem Einsatz gegen den Nationalsozialismus. Pallua (1912-1995) studierte in Innsbruck Medizin und war in Wien gegen das NS-Regime aktiv. Am 29. Juni wird in Hall in Tirol eine Tafel enthüllt, im Gedenken an HallerInnen, die im Nationalsozialismus Widerstand leisteten, verfolgt oder ermordet wurden, so auch Erika Pallua. Ihr Großneffe Johannes Pallua (Univ.-klinik für Orthopädie und Traumatologie) schreibt über ihr Leben.
Erika Pallua war eine außergewöhnliche Frau: Ärztin, Humanistin und mutige Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus. Im Sinne der gelebten Erinnerungskultur macht die Medizinische Universität Innsbruck auf ihr Leben und Wirken aufmerksam. Pallua wirkte im Umfeld der Widerstandsgruppe Maier–Messner–Caldonazzi – jenes Netzwerkes, das als eine der effektivsten bürgerlichen Widerstandsbewegungen Österreichs gilt. Ein schlagkräftiges Netzwerk, das in der Geschichtsschreibung Österreichs erst in den heutigen Tagen zu Ehren gelangt.
Zivilcourage in einer Zeit der Angst
Erika Pallua wurde 1912 in Schattwald im Bezirk Reutte geboren, stammte aus einer christlich geprägten Familie, wuchs in Hall in Tirol auf und studierte in den 1930er-Jahren Medizin an der Universität Innsbruck – just in jener Zeit, in der das nationalsozialistische Regime begann, Hochschulen ideologisch zu vereinnahmen. Jüdische KollegInnen wurden vertrieben, Lehrpläne angepasst und viele Angehörige der medizinischen Fakultät passten sich rasch der neuen Ideologie an.

Erika Pallua studierte in den 1940er Jahren in Innsbruck Medizin.
Nicht so Erika Pallua. Sie trat früh für humanistische Werte und ärztliche Ethik ein, stellte ihr berufliches Wirken unter das Gebot der Menschenwürde – und weigerte sich, ihr medizinisches Wissen für das Unrechtssystem nutzbar zu machen. In den 1940er-Jahren lebte sie in Wien-Gersthof in einem kirchlichen Haus – ein Ort, an dem sie mit Persönlichkeiten wie dem katholischen Kaplan DDr. Heinrich Maier, dem Tiroler D.I. Walter Caldonazzi und dem Industriellen Dr. Franz Josef Messner in Kontakt kam.
Im Netzwerk des Maier-Messner-Caldonazzi-Widerstands
Diese Begegnungen veränderten ihr Leben. Erika Pallua wurde Teil jenes überparteilichen, religiös geprägten Widerstandsnetzwerks, das später unter dem Namen Maier–Messner–Caldonazzi-Gruppe bekannt wurde. Die Gruppe, eng mit dem amerikanischen Nachrichtendienst OSS verbunden, übermittelte hochbrisante Informationen über deutsche Rüstungsfabriken an die Alliierten – darunter exakte Pläne der V2-Raketenproduktion in Penemünde (auf der Halbinsel von Usedom) und der Panzerwerke für die Herstellung der Tiger I. und II. Ihr Ziel waren gezielte Luftschläge, um das NS-Regime militärisch zu schwächen und zivile Opfer zu minimieren.
Erika Pallua arbeitete als Ärztin in der Internen Abteilung des Sanatoriums Gersthof in Wien (im Hintergrund).
Pallua wirkte im weiteren Umfeld dieser Gruppe: Sie begleitete organisatorische Aufgaben im Hintergrund und versuchte schließlich auch, Leben zu retten. Als Heinrich Maier, durch die Arbeit von Doppelagenten, im Frühjahr 1944 von der Gestapo verhaftet wurde, verfasste sie ein persönliches Gnadengesuch an den Präsidenten des Volksgerichtshofes, Roland Freisler sowie einen Brief an Adolf Hitler selbst. Darin appellierte sie im Namen der katholischen Gemeinschaft an das „schöne Vorrecht der Gnade“. Die Bitten blieben erfolglos. Heinrich Maier wurde am 22. März 1945 in Wien, am Landesgericht, hingerichtet.
Letzte Würde – ein stiller Triumph der Humanität
Doch auch nach seiner Hinrichtung endete Erika Palluas Engagement nicht. Gemeinsam mit Dr. Fredl Stampach organisierte sie die Bergung der Leichname von Heinrich Maier und drei weiteren Widerstandskämpfern aus einem anonymen Massengrab. Unter hohem persönlichem Risiko sorgte sie dafür, dass ihre Mitstreiter ein Ehrengrab am Neustifter Friedhof erhielten – ein stiller Triumph der Humanität über das Vergessen.
Ausweis der österreichischen Widerstandsbewegung von Erika Pallua
Späte Anerkennung für ein stilles Leben
Bekannt ist, dass Erika Pallua bis 1972 in Wien als Ärztin arbeitete, später nach Tirol zu ihrer Familie zurückkehrte und 1995 in ihrer Heimatstadt Hall verstarb. Ihr stiller Widerstand, ihr Mut und ihre konsequente Menschlichkeit machen sie heute zu einer Identifikationsfigur für ärztliches Handeln in schwierigen Zeiten.
Die Geschichte der Maier–Messner–Caldonazzi-Gruppe – ebenso wie Palluas Rolle darin – geriet lange in Vergessenheit. Erst in den letzten Jahren wird das Netzwerk in seiner ganzen Bedeutung historisch aufgearbeitet. Erika Pallua steht dabei stellvertretend für die oft vergessene Rolle von Frauen im Widerstand – als Bindeglied, Unterstützerinnen, Mutige im Verborgenen.
Gedenkveranstaltung am 29. Juni 2025 in Hall in Tirol
Am Sonntag, den 29. Juni 2025, wird um 9:30 Uhr im Rahmen eines Festgottesdienstes in der Pfarrkirche St. Nikolaus sowie eines anschließenden Festakts am Franz-Reinisch-Platz die ehemalige „Schneiderkapelle“ in Hall in Tirol neu eröffnet. Ein zentrales Element der Veranstaltung ist die feierliche Enthüllung einer Gedenktafel, die an 237 Personen aus Hall erinnert, die während des Nationalsozialismus Widerstand geleistet haben, verfolgt oder ermordet wurden. Die Tafel ist das Ergebnis langjähriger wissenschaftlicher Recherchen von Elisabeth Walder in Zusammenarbeit mit dem Haller Dekan Jakob Patsch. Sie würdigt nicht nur Erika Pallua, sondern viele Menschen, die in dunkler Zeit Mut, Menschlichkeit und Zivilcourage gezeigt haben.
Erika Pallua – Ärztin, Humanistin und Alumna der Medizinischen Universität Innsbruck – steht exemplarisch für ethische Integrität und gelebte Verantwortung. Ihr Mut lebt in unseren Werten weiter.
(26.06.2025, Text: red/Johannes Pallua mit Familie in Zusammenarbeit mit Homa Jordis, Elisabeth Walder und Jakob Patsch, Bilder: Privatarchiv Fam. Pallua Innsbruck/ Universitätsarchiv)
Links:
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