Online-Ringvorlesung beleuchtet NS-Medizin
„Die NS-Medizin, ihre Kontexte und Nachgeschichte: Das Beispiel von Burghard Breitner (1884-1956)“ lautet der Titel einer Online-Ringvorlesung, die ab dem 5. Oktober 2021 immer dienstags von 18:30 bis 20.00 Uhr virtuell stattfindet. Die Teilnahme an den öffentlichen Vorlesungen im Wintersemester 2021/22 ist kostenlos.
Von der Erinnerungskultur, der NS-Geschichte der Universität Innsbruck, der Biographie des Innsbrucker Arztes Burghard Breitner, über den Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen, die Entnazifizierung der Medizin bis hin zum Thema Sterilisation und Verhütung heute – die Ringvorlesung spannt einen breiten Bogen. Die Leopold-Franzens-Universität Innsbruck und die Medizinische Universität Innsbruck stellen sich mit Unterstützung der Stadt Innsbruck mit dieser Veranstaltungsreihe einem herausfordernden Kapitel der Innsbrucker NS-Geschichte. Die Vorlesung versammelt Expert*innen aus verschiedenen Disziplinen , die aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Person Burghard Breitner im Kontext ihrer Zeit beleuchten und ihrer verschiedenen Tätigkeitsfelder sowie den erinnerungskulturellen und geschichtspolitischen Umgang mit ihr beschreiben.
Teilnahme an den virtuellen Vorlesungen
Neben Studierenden beider Innsbrucker Universitäten ist eine breite Öffentlichkeit eingeladen, an den Vorträgen im Wintersemester 2021/22 teilzunehmen. Um möglichst vielen Interessierten während der Covid-19-Pandemie die Teilnahme zu ermöglichen, findet die Ringvorlesung virtuell statt. Online-Link & weitere Informationen:
NS-Medizin, ihre Kontexte und Nachgeschichte – Das Beispiel Burghard Breitner (1884-1956)
Zeit: dienstags von 18:30 bis 20.00 Uhr
Link: https://short.uibk.ac.at/ns-medizin
Podiumsdiskussion zum Abschluss
Zum Abschluss der Ringvorlesung ist für den 1. Februar 2022 eine prominent besetzte Podiumsdiskussion in den Ursulinensälen Innsbruck geplant. Die Rektoren beider Universitäten, Wolfgang Fleischhacker (Med Uni Innsbruck) und Tilmann Märk (Uni Innsbruck), werden mit Bürgermeister Georg Willi, dem Leiter des Stadtarchivs/Stadtmuseum Lukas Morscher und der Historikerin Ina Friedmann erörtern, welche Rückschlüsse aus der Veranstaltung gezogen werden können. Moderiert wird die Veranstaltung von Dirk Rupnow, vom Institut für Zeitgeschichte.
Breitner und die NS-Zwangssterilisierungen
Burghard Breitner war Vorstand der Innsbrucker Chirurgischen Universitätsklinik von 1932 bis 1955. Als Klinikleiter war Breitner mit der Einführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ 1940 zur Zwangssterilisierung von männlichen Zivilpersonen und Strafgefangenen sowie zu sogenannten „freiwilligen Entmannungen“ offiziell „ermächtigt“ worden. Diese Eingriffe wurden an der Chirurgischen Klinik durchgeführt – nach aktuellem Forschungsstand zwar nicht von Breitner selbst, doch als Klinikleiter lag die Verantwortung bei ihm.
Das zentrale Ziel der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik war die Schaffung eines „gesunden Volkskörpers“ – der durch die Ausgrenzung und Verfolgung von Menschen geschaffen werden sollte, die als „minderwertig“ angesehen wurden. „Neben der Internierung in Konzentrations- oder Arbeitserziehungslagern sowie der euphemistisch als ‚Euthanasie‘ bezeichneten Ermordung von Menschen mit angeblichen Beeinträchtigungen, wurden Zwangssterilisierungen zur Verhinderung der Fortpflanzung eingeführt. Anders ausgedrückt: Der NS-Staat fällte die Entscheidung darüber, wer eine Familie gründen durfte“, erklärt Ina Friedmann. Die Historikerin hat das von Dirk Rupnow geleitete Forschungsprojekt zum Thema „Unfruchtbarmachung“ und „freiwillige Entmannung“ an den Innsbrucker Universitätskliniken und zu den Erbgesundheitsgerichten des Gaues Tirol-Vorarlberg bearbeitet. Weitere Informationen: https://www.uibk.ac.at/zeitgeschichte/unfruchtbarmachung-und-freiwillige-entmannung/
Breitner: Schriftsteller und Präsidentschaftskandidat
Der Hochschullehrer war Zeit seines Lebens in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen aktiv. Einen größeren Bekanntheitsgrad erlangte er nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft nach dem Ersten Weltkrieg. Zu Lebzeiten war Breitner ein anerkannter Arzt und Lehrer. Seit seiner Jugendzeit war er auch als Schriftsteller tätig, verfasste unter anderem Gedichte und Theaterstücke. 1951 kandidierte er für das Amt des Bundespräsidenten als Kandidat für den Verband der Unabhängigen (VdU). An der Universität Innsbruck wurde er im Studienjahr 1952/53 zum Rektor gewählt, ab 1950 war er Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes. Seine NSDAP-Mitgliedschaft ab 1939 stellte der zeitlebens deutschnational orientierte Breitner in der Nachkriegszeit als ihm unbekannt dar.
Erinnerungskultur in der Kritik
Die Benennung einer Straße nach ihm im Innsbrucker Stadtteil Reichenau anlässlich seines 10. Todestages 1966 sollte die Erinnerung an einen angesehenen und hoch geschätzten Arzt aufrechterhalten. Mehr als 50 Jahre später wurde die Art des Gedenkens allerdings hinterfragt und die Straßenschilder mit entsprechenden Hinweisen versehen. Breitner bekam ein städtisches Ehrengrab, dieser Sonderstatus wurde allerdings mittlerweile ebenfalls aberkannt.
(28.09.2021, Uni Innsbruck)