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Martin Krismer: “Im Dialog und aus Fehlern lernen wir am meisten“

Wenn berufene Professorinnen und Professoren der Medizinischen Universität Innsbruck in den Ruhestand treten, hat man schon einiges, aber längst nicht alles über sie erfahren. Lesen Sie hier, was Sie immer schon von und über Martin Krismer wissen wollten.

Herr Krismer, in den nahezu 20 Jahren, in denen Sie an der Spitze der Innsbrucker Universitätsklinik für Orthopädie gestanden sind, hat sich viel getan. Ist es Ihnen trotzdem möglich, zwei, drei Dinge hervorzuheben, die Ihnen besonders wichtig sind oder die Sie wieder so machen würden?

Natürlich gibt es einzelne Ereignisse, die in Erinnerung bleiben, aber langfristig wirksam sind vor allem Dinge, die sich entwickeln, wie etwa die Art der Ausbildung unserer Ärztinnen und Ärzte. In einem chirurgischen Fach ist es ja oft so, dass die Ausbildung junger Kolleginnen und Kollegen oft davon abhängt, ob sie in der Gunst oder Missgunst eines ausbildenden Oberarztes stehen. Dazu kommt, dass Oberärztinnen und Oberärzte an Universitätskliniken oft in der Situation sind, Karriere machen zu wollen und deshalb ein guter OP-Katalog wichtig ist. Hier war es mir wichtig, Systematik reinzubringen, eine Kultur zu schaffen, in der Ausbildung geschätzt wird, einen hohen Stellenwert hat, dass also auch die Oberärzte danach streben, gute Ausbildner zu sein und sich das ebenso auf ihre Fahnen schreiben wollen.
Mir war es auch wichtig, die Lehre weiterzuentwickeln. Ich war in der neuen Studienordnung für das 7. Semester zuständig und habe im Modul Bewegungsapparat immer versucht, die Lehrinhalte zwischen den einzelnen Vorlesenden anzustimmen und an neuen Publikationen zu orientieren.
Ich habe in meiner täglichen Arbeit auch versucht, so etwas wie eine Fehlerkultur zu etablieren. Wenn man über eigene Fehler nicht spricht, kann man leicht zur Auffassung kommen, man sei fehlerlos. Deshalb habe ich stets versucht, eigene Fehler anzusprechen und auch andere dazu zu ermutigen; das ist schließlich ganz gut gelungen in den letzten Jahren. Erst daraus erkennt man, was man besser machen kann. Ich hatte so eine Vision eines leitenden Arztes oder besser gesagt eines Arztes in wichtiger Position an einer Uniklinik:  selbständig, gut spezialisiert, gut verankert und vernetzt, jemand, der sein Spezial-Wissen an die Jungen und auf nationalen und internationalen Kongressen weitergibt. Und wenn ich auf einem Kongress von vielversprechenden Erkenntnissen erfahre, sollte ich als Arzt auch den Freiraum haben, diese umzusetzen und mich damit auch weiterzuentwickeln. Ich denke, es ist gelungen, dass zahlreiche Kollegen und Ärzte an unserer Klinik diese Vision leben. Das bringt auch eine Klinik weiter.

Was macht für Sie eine gute Medizinerin, einen guten Mediziner aus?

Man braucht als Mediziner drei Dinge: Wissen, Fertigkeiten und Haltung. Die Haltung, also die Einstellung zum Beruf, ist für mich das Wichtigste, kommt in der Lehre aber oft zu kurz. Es ist schon vorgekommen, dass ich Studierende angepflaumt habe, wenn sie sich unpässlich gegenüber Patientinnen und Patienten verhalten haben. So wie man in der Familie erzogen wird, muss man im Studium auch die Vorstellung vermitteln, wie man mit Patienten und wie man auch mit Mitarbeitern umgeht, wie man aus Fehlern lernt, wie man an eine OP herangeht. Diese professionelle Haltung muss man einfordern, sie ist Teil einer Unternehmenskultur.

Wollten Sie immer schon Arzt werden bzw. Medizin studieren?

Eigentlich wollte ich ursprünglich Psychiater werde. Nachdem aber keine Ausbildungsstelle frei war, habe ich mich der Allgemeinmedizin zugewandt und bin dann zur Unfallchirurgie gekommen; ich fand es interessant, ein Problem am Röntgenbild zu sehen und dann eine Lösung dafür zu finden. Für meine Ausbildung zum Orthopäden gab es ein Schlüsselerlebnis: Ein Freund hatte einen bösartigen Knochentumor; mich hat fasziniert, dass man diesen bösartigen Tumor so beseitigt hat, dass er weiterhin Sport machen konnte, seitdem habe ich mich also dem Bewegungsapparat zugewandt.

Ist der Arzt oder der Forscher in Ihnen dominanter?

Man kann das schwer trennen, weil sich die Fragen an die Forschung aus der klinischen Praxis ergeben. Man stößt in seiner Tätigkeit ja oft auch an Grenzen, weil man erkennt: Das hat jetzt noch niemand untersucht; das sind dann meist auch die wertvollsten und wichtigsten Fragen, die man in einer Studie zu klären versucht. Man ist immer beides, Arzt und Forscher. Bei mir war es immer die Suche nach der Lösung, die mich angespornt hat; vor allem in meinen Spezialbereichen, der Wirbelsäule und der Hüfte. Ich habe viele Deformitäten und Verkrümmungen behandelt und es war eine große Befriedigung, wenn ich körperlich behinderten Kindern helfen konnte. Bei den schwierigsten Fällen – oft angeborene, neurologische Störungen, Knochen- oder Muskelerkrankungen – da war man am meisten emotional dabei.

Wie sehen Sie die Zusammenlegung der Fächer Traumatologie und Orthopädie?

Durchaus positiv. Das Fach Traumatologie und Orthopädie ist international verankert. Auch wenn Deutschland hier ein bisschen zurückrudert, ist es doch so, dass die Bewerbungschancen durch die Zusammenführung besser sind; zwar wollen wir nicht, dass unsere Topleute davonrennen, aber je besser das Renommee, desto größer sind die Chancen, gute neue Leute für die eigene Klinik zu finden.

Sie waren nicht nur Arzt und Forscher, sondern auch unipolitisch tätig, etwa als Senatsvorsitzender. Was waren da die größten Herausforderungen?

Ich habe zwei Senatssitzungsperioden durchgehend geleitet, war aber auch Vorsitzender der Habilitations-Kommission. Die erste Senatssitzungsperiode war außerordentlich schwierig, weil es sehr viel Unfrieden in der Medizin Uni gegeben hat zwischen dem Team unter Rektor Lochs, dem Unirat und dem Senat; es gab andauernde Konflikte, die oft nicht zu lösen waren und schließlich auch zu vielen persönlichen Zerwürfnissen geführt haben, zwischen Senatsmitgliedern und Rektorat und mehr noch zwischen Rektorat und Unirat. Es war mir wichtig, wieder eine Gesprächsbasis herzustellen, vor allem im Senat, wo oft sehr kontroversiell diskutiert wurde; es gab Personen im Senat, die besonders engagiert waren, aber auch als besonders schwierig wahrgenommen wurden; der Dialog auch mit diesen Personen, war wichtig, um Probleme schon im Vorfeld auszuräumen. Deshalb habe ich mich regelmäßig vor Senatssitzungen mit Vertretern des Mittelbaus und der Studierenden getroffen, habe versucht zu moderieren, sodass keine emotionalen Konflikte ausbrechen. Die Etablierung einer lösungsorientierten und freundlichen Gesprächskultur war mir wichtig. Ich beobachte heute mit Freude, wie das jetzt auch unter dem Vorsitzenden Gert Mayer gut gelingt, wie einvernehmlich die Unigremien miteinander kommunizieren.

Ist es Ihnen leichtgefallen, den Arztberuf und die Klinik hinter sich zu lassen?

Eine Klinik ist ja doch so etwas wie das eigene Kind. Man lebt mit und erkundigt sich immer wieder. Unter meinen Beruf als Arzt habe ich einen Schlussstrich gezogen, ich betreue keine Patienten mehr. Es waren schon auch gemischte Gefühle dabei. Der Übergang in den Ruhestand ist mir nicht ganz leichtgefallen, nicht nur, weil ich die Klinik hinter mir ließ, sondern weil sich die Klinik durch die Zusammenlegung von Orthopädie und Traumatologie verändert hat. In einzelnen Bereichen, vor allem im Bereich Wirbelsäule, hatten wir viele Abgänge, weil viele an anderen Kliniken gute Positionen besetzen konnten, aber wie bereits gesagt, ist die Zusammenlegung durchaus auch eine Chance, denn mit einer großen gemeinsamen Klinik ist die Personaldecke wieder dicker, sodass es keine Engpässe mehr geben wird, so wie das manchmal unter meiner Klinikführung der Fall war. Ich habe jedenfalls großes Vertrauen in die neue Klinikleitung und bin überzeugt, dass Prof. Arora das sehr gut machen wird.

Der Bewegungsapparat war Ihr Spezialgebiet. Ist Bewegung oder Sport auch privat und jetzt im Ruhestand für Sie wichtig?

Also ich bin keiner, der sich Sport im Fernsehen anschaut, mich interessiert auch nicht, welche Nation bei Wettkämpfen gewinnt, mir geht es nicht um Minuten oder Gipfelsiege. Ich bin gern in der Natur, mag alle Witterungsverhältnisse, ob Regen, Schnee oder Wind. Auch Tiere beobachten mag ich, man muss unheimlich ruhig sein, um Tiere beobachten zu können. Diese Ruhe ist etwas sehr Schönes. So sehr mir die Arbeit und auch die Verantwortung an der Klinik und an der Universität Spaß gemacht haben, genieße ich es jetzt auch, keinen Streit mehr schlichten zu müssen. Ich habe Zeit für Literatur und Philosophie und ich hab mir sogar eine kleine Tischlerei eingerichtet, in der ich weiterhin manuell tätig sein kann – meine vier Kinder versorgen mich mit Aufträgen. Mein nächster großer Plan ist ein siebeneckiger Tisch.

 

Zur Person:
Martin Krismer wurde im April 1955 in Innsbruck geboren und besuchte in Admont das humanistische Privatgymnasium der Benediktiner. An der Universität Innsbruck studierte er Medizin und Philosophie, konnte aber das Philosophiestudium wegen seiner beruflichen Tätigkeit in Kärnten nicht mehr abschließen. Nach der Turnusausbildung in Spittal/Drau und Villach folgte eine zweijährige Ausbildung zum Facharzt für Chirurgie am Krankenhaus Villach und eine zweijährige Ausbildung in Radiologie im Landeskrankenhaus Klagenfurt. 1990 wurde Krismer in Innsbruck Facharzt für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie und 1996 Dozent. Die Ausbildung wurde durch zahlreiche Auslandsaufenthalte vor allem in den USA ergänzt. Seine klinischen Schwerpunkte lagen in der Endoprothetik und in der Wirbelsäulenorthopädie. So wurde in Innsbruck die minimal invasive Hüftendoprothetik entwickelt, die einen schmerzarmen postoperativen Verlauf, ein Gehen ohne Stützkrücken nach wenigen Tagen und die rasche Aufnahme aller Aktivitäten nach der Operation ermöglicht. Besondere Expertise erwarb sich Krismer in der Behandlung von Wirbelsäulenverkrümmungen, besonders von Skoliosen. Martin Krismer war Generalsekretär der Europäischen Hüftgesellschaft (EHS, European Hip Society) und Prüfer bei der Europäischen Facharztprüfung. Die Verleihung des VOLVO-Preises war neben weiteren Wissenschaftspreisen die herausragende Würdigung für eine Arbeit über die Funktionsweise der Bandscheibe. Neben der Veröffentlichung von mehr als 145 Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften hat Martin Krismer ein Buch über die Arbeitsweise der Bandscheibe verfasst und ein Buch über minimal invasive Hüft- und Knieprothesenoperationen mit herausgegeben. Martin Krismer ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

(21.01.2021., Text: D. Heidegger, Bild: MUI/D. Bullock)

 

 

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