Prostatakrebs: Ein Gesamtbild schaffen
Im 1. Stock der Frauen-Kopf-Klinik deutet nichts darauf hin, dass hinter der automatischen Tür keine herkömmliche Krankenstation ist. Doch anders als auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs, wo die Räumlichkeiten für Patient*innen ausgerichtet sind, finden sich hinter der Glastür Labore und Analyseräume der Abteilung für Experimentelle Urologie, wo Prostatakrebstherapie durch neueste Forschung breit aufgestellt werden soll.
„Unsere Forschungsprojekte haben einen engen Krankheitsbezug mit dem Schwerpunkt Prostatakrebs und den Wirkungsmechanismen der männlichen Sexualhormone (Androgene). Marker für eine verbesserte Diagnostik, die Erforschung des Androgenrezeptors und seine Rolle beim Prostatakarzinom und der Wirkungsmechanismus von regulatorischen Netzwerken der Tumorzelle bilden einen Schwerpunkt unserer Forschungsaktivitäten“, erklärt Zoran Culig, Leiter der Abteilung für Experimentelle Urologie, die zentralen Betätigungsfelder der Abteilung. Zum verbesserten Verständnis der Entstehung und des Wachstums von Prostatakrebs leistet das Innsbrucker Team international wesentliche Beiträge. Wissenschaftler*innen der Abteilung Experimentelle Urologie erforschen, was hinter der Widerstandsfähigkeit der Prostata-Tumorzellen genau steckt.
Neue Möglichkeiten
„Dabei haben wir ein breites Konzept – von der Untersuchung bei Markern und der Diagnose über der prognostischen Evaluierung der Erkrankung, bis hin zur Aufklärung von biologischen Hintergründen bei Tumoren“, führt Helmut Klocker, Leiter des Urologie-Labor, aus. Dabei geht es um Resistenzmechanismen, denn aufbauend darauf kann die Therapie gestaltet werden, um therapeutische Erfolge zu erzielen. „Uns geht es um neue Möglichkeiten bei der Therapie und bereits bestehende Möglichkeiten, die man im Zuge eines größeren Verständnisses der Restistenzmechanismen verbessern kann.“
Aktuelle Publikation
Wie wichtig die Forschung in diesem Bereich ist, zeigen die Zahlen: Bei etwa 5000 Männern wird in Österreich jährlich ein Prostatakarzinom diagnostiziert. In vielen Fällen handelt es sich dabei jedoch um ein niedrig malignes Karzinom, das keiner aktiven Therapie bedarf. Da bislang jedoch im klinischen Alltag keine eindeutige Unterscheidung zwischen aggressiven und nicht-aggressiven Tumoren im Rahmen der Tumorfrüherkennung erfolgen konnte, hat dies häufig eine Übertherapie zur Folge. „Grundsätzlich ist die Erkrankung bei früher Erkennung gut behandelbar, im fortgeschrittenen Stadium kann Prostatakrebs bisher jedoch nur durch eine medikamentöse Blockade des männlichen Sexualhormons Androgen für eine begrenzte Zeit aufgehalten werden. Prostatakrebszellen sind nämlich nach einer bestimmten Behandlungsdauer in der Lage, die Hormontherapie zu umgehen“, erklärt Culig. In einer aktuellen, erschienen im Fachblatt Molecular Cancer Therapeutics, Publikation von Florian Handle (Letztautor Zoran Culig), der nach dem Abschluss des PhD-Studiums in Innsbruck derzeit als Postdoc in Leuven arbeitet, konnte nun zum ersten Mal nachgewiesen werden, dass die Substanz Galiellalakton weite Signalwege beim Prostatakarzinom inhibiert. „Sowohl Zytokine als auch androgene Rezeptoren sind beide im resistenten Prostatakarzinom aktiv. Die Idee ist nun, dass mit dieser Substanz, die in diversen Studien in der Klinik verwendet wird, nicht nur ein Signalweg sondern zwei Signalwege, gleichzeitig inhibiert werden und dass dadurch die Therapie auf eine breitere Basis gestellt wird.“
Molekularbiologische Abläufe
Notwendig dabei ist, Abläufe auf molekularer Ebene zu verstehen. So meint Molekularbiologe Martin Puhr: „Es ist wichtig herauszufinden, welche molekularbiologischen Mechanismen stattfinden, um auch einen aggressiven von einem nicht-aggressiven Tumor unterscheiden zu können. Wenn man von vornhinein weiß, um welche Art von Tumor es sich handelt, kann man mit dem Arzt bzw. der Ärztin die richtige Therapie abstimmen.“ Es sei wesentlich, die Art der Tumoren in einem sehr frühen Stadium zu erkennen, um eine Übertherapie zu vermeiden bzw. die richtige Therapie zu finden. „Das ist ein Hauptansatzpunkt, an dem wir zur Zeit arbeiten. „Wir möchte die Biologie des Tumors verstehen, um ihm etwas entgegensetzen zu können.“ Bei einem Forschungsprojekt ist es der Mikrobiologin Natalie Sampson gelungen, unterschiedliche Subtypen von Tumor-assoziierten Fibroblasten (CAF) beim Prostatakarzinom zu identifizieren. Aufgrund der unterschiedlichen molekularen und funktionellen Merkmale, ist zu erwarten, dass die CAF Subtypen auch die Progression des Prostatakarzinoms unterschiedlich beeinflussen. „Diese Bindegewebszellen könnten somit auch prognostische Verwendung finden.“ Dabei sieht Sampson potentielle neue Ansätze der personalisierten Medizin. Um weitere Ergebnisse zu gewinnen, arbeiten Martin Puhr und Natalie Sampson verstärkt zusammen. „Unsere Versuche gehen weg von der reinen Zelllinie hin zur primären Gewebekultur aus chirurgischen Proben als Testumgebung“, verraten die beiden Forscher*innen, die mit diesem „Mikrostück aus dem Patienten“ eine noch umfassendere und effizientere Gewebekultur schaffen wollen und mit der Nähe von Klinik und Forschung am Medizin-Campus Innsbruck ideale Rahmenbedingungen dafür vorfinden.
Natalie Sampson und Martin Puhr vom Team Experimentelle Urologie. (Foto:MUI/Bullock)
Technologie
Parallel dazu steht die Implementierung neuer Technologien im Urologielabor im Vordergrund wie beispielsweise die Isolierung von zirkulierenden Tumorzellen aus dem Blut oder die Etablierung eines dreidimensionalen Zellkulturmodells für in vitro Studien. „Die Entwicklung und Austestung neuer Therapien wird üblicherweise an einer limitierten Zahl von Zelllinien durchgeführt, die auf Plastikuntergrund in Zellkulturflaschen oder Petrischalen gezüchtet werden. Dies entspricht nicht der Gewebesituation in der Prostata, welche neben Prostataepithelzellen auch noch einen signifikanten Anteil an Stroma beinhaltet. Im dreidimensionalen Kokulturmodell werden Tumorzellen und stromale Zellen ähnlich dem Gewebeverband in der Prostata gemeinsam kultiviert und ermöglichen damit zuverlässigere Forschungsergebnisse“, erklärt Iris Eder-Neuwirt und meint weiter: „Durch die enge Anbindung an die Klinik erhalten wir wertvolle Proben, die wir verwenden können, um unsere Ergebnisse aus der Zellkultur auch in vivo zu verifizieren. Dies ist für die klassische translationale Forschung von extremer Bedeutung. Auch die Interaktion mit den Ärztinnen und Ärzten ist insbesondere bei klinischen Fragestellungen von großem Vorteil.“
Die Forscher*innen in der Abteilung für Experimentelle Urologie sehen das Zusammenfügen verschiedener Forschungs- und auch Therapieansätze als ihre methodische Hauptaufgabe an. „Der Prostatakrebs ist wie alle Krebsarten eine sehr komplexe, sehr heterogene Angelegenheit. Wichtig ist, dass man aus verschiedenen Teilbereichen ein Gesamtbild erstellt.“
v.li.: Martin Puhr, Natalie Sampson, Helmut Klocker, Iris Eder-Neuwirt, Zoran Culig (Foto:MUI/Bullock)
(red / D. Bullock)