Vom Mikro- und Makrokosmos Genomweiter Assoziationsstudien
Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, koronare Herzkrankheit sowie Krebs haben trotz ihrer Komplexität eines gemeinsam: Der Großteil der bisher identifizierten dafür mitverantwortlichen Gene ist durch Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) ans Tageslicht gekommen.
Das noch junge Forschungsfeld GWAS ermöglicht die Identifizierung erkrankungsassoziierter Gene und ihrer natürlich vorkommenden Varianten, welche das Risiko erhöhen, von einer dieser Volkskrankheiten betroffen zu sein. Noch vor zehn Jahren wären GWAS in ihrer heutigen Ausrichtung als internationale, kooperative, mit großen Fallzahlen und hohem Output verbundene Studien unvorstellbar gewesen. Die rasante Entwicklung dieser Untersuchungsmethode korrespondiert mit enormem Wissenszuwachs innerhalb kürzester Zeit. Ihre Geburtsstunde in Europa hatten GWAS erst 2005, als u.a. elf Forschungsgruppen in München - darunter auch der Direktor der Sektion für Genetische Epidemiologie an der Medizinischen Universität Innsbruck, Univ.-Prof. Florian Kronenberg - ein internationales Konsortium gründeten, um im Rahmen der am Helmholtz-Zentrum München angesiedelten KORA-Studie genomweite Assoziationsstudien durchführen zu können. Der Weg zur intensiven internationalen Zusammenarbeit im genetischen Bereich war damit geebnet. „Im Rückblick", so Kronenberg, „ahnten wir damals nicht, dass man mit diesem neuen Ansatz so viele neue krankheitsassoziierte Genvarianten finden würde". Zehn Jahre nachdem es MolekularbiologInnen gelungen war, die DNA-Sequenz des menschlichen Genoms - den „Bauplan" unseres Körpers - zu entschlüsseln und damit den Grundstein für die Durchführung von GWAS zu legen, ist es heute möglich geworden, bis zu 4,3 Millionen genetische Varianten in Form von Einzelbasenänderungen (sog. Single Nucleotide Polymorphismen oder SNPs) für jeden einzelnen Menschen zu bestimmen.
Auf der Suche nach genetischen Markern und komplexen Zusammenhängen
Im Rahmen einer genomweiten Assoziationsstudie untersuchen WissenschafterInnen die über das gesamte Genom verteilten SNPs in einer möglichst großen Anzahl von StudienteilnehmerInnen und bringen diese Daten mit phänotypischen Ausprägungen in Verbindung. „Bei diesen phänotypischen Ausprägungen handelt es sich entweder um Erkrankungen wie Nierenerkrankungen, Diabetes mellitus oder Krebs oder aber auch mit diesen Erkrankungen zusammenhängende sogenannte intermediäre Phänotypen wie Cholesterin, Lipoprotein(a) oder Harnsäure", erklärt Kronenberg. Nachdem die beobachteten Effekte dieser SNPs auf den Phänotyp klein sind und eine sehr hohe Anzahl an statistischen Tests durchgeführt werden, braucht es enorme Fallzahlen, um valide Ergebnisse zu erhalten. "Dies ist nur im Rahmen von internationalen Konsortien möglich, die es ermöglichen, bis zu 250.000 Menschen zu untersuchen", erklärt Dr.in Claudia Lamina vom GenEpi-Team der Sektion für Genetische Epidemiologie, die vor allem für die statistischen Auswertungen zuständig ist und an mehreren dieser Megaprojekte mitgearbeitet hat.
Die Entdeckung von bisher unbekannten krankheitsbeteiligten Genen eröffnet neue Wege zum Verständnis der funktionellen Zusammenhänge in der Zelle und damit zu den Entstehungsmechanismen von Krankheiten: „Ideennachschub" für MedizinerInnen und NaturwissenschaftlerInnen, um neue Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Therapiestrategien zu finden. "Die Identifizierung dieser neuen 'drug targets' und die nachfolgende funktionelle Charakterisierung der Mechanismen, die den Assoziationssignalen zugrunde liegen, wird uns noch viele Jahre beschäftigen", freut sich Dr. Stefan Coassin, der im GenEpi Team mehr in diese Richtung gehen will. Dementsprechend versteht sich die Genetische Epidemiologie als Brückenfach zwischen Grundlagen- und klinischer Forschung, die in einer hypothesenfreien Forschungsausrichtung ihren besonderen Vorteil besitzt, indem man auf diese Weise Gene findet, die bisher nicht mit bestimmten Phänotypen in Verbindung gebracht wurden. „In den vergangenen Jahren wurden mehrere hundert Genorte für Dutzende von komplexen Phänotypen identifiziert und zum Teil auch völlig neue und unerwartete Kandidatengene und Mechanismen entdeckt", erzählt Florian Kronenberg. Allein die Bilanz der letzten beiden Jahre der mit Innsbrucker Beteiligung durchgeführten GWAS spricht mit vier in 'Nature' und sieben in 'Nature Genetics' veröffentlichten Arbeiten für sich.
Gerade die Kombination von GWAS mit Metabolomik hat enorme Erkenntnisse erbracht. Eine im Blut durchgeführte Untersuchung hat immerhin 37 Genorte für im Blut gemessene 250 Metaboliten erbracht, von denen mehr als 60 Prozent bisher unbekannt waren. Ähnlich aufschlussreiche Ergebnisse aus einem anderen Projekt wurden für Metaboliten im Harn gefunden. In dieser von der Universität Greifswald, dem Helmholtz-Zentrum München und der örtlichen Sektion für Genetische Epidemiologie durchgeführten GWAS verglichen die ForscherInnen 59 Stoffwechselprodukte mit genetischen Informationen aus dem Blut von annähernd 3000 Studienteilnehmern und konnten dabei fünf Genregionen identifizieren, die zum Teil bereits mit weit verbreiteten Erkrankungen der Niere und des Herzens in Verbindung gebracht wurden. Daneben haben GWAS im Zusammenhang mit Parametern des Fettstoffwechsels 95 Genorte identifiziert, von denen bislang 59 unbekannt waren und nun einer funktionellen Charakterisierung bedürfen. "Vor uns liegt also noch ein langer, aber auch spannender Weg, bis wir diese Zusammenhänge besser verstehen und auch nützen können", merkt Coassin an. Der Lipid- und Energiestoffwechsel ist auch jener Bereich, mit dem das GenEpi-Team als eine von 13 ausgewählten Arbeitsgruppen im österreichischen GEN-AU-Projekt "GOLD" seit neun Jahren an der Identifizierung von Gen- und Stoffwechselprodukten arbeitet.
Begründet erfolgreich
Der beachtliche Erfolg von GWAS liegt sicherlich in der weltweiten Zusammenarbeit begründet. Einzelne ForscherInnen müssten dabei wohl das früher weitverbreitete 'Bruthennenverhalten' ablegen und dürften nicht auf ihren Daten sitzen sondern diese zur Verfügung stellen, wo sie gebraucht werden, so Prof. Kronenberg, der letztlich auch auf die günstigen Arbeitsbedingungen in Innsbruck verweist: "Wir verfügen durch die 'Sequencing & Genotyping Core Facility' über eine sehr gute Ausstattung, Zugang zu mehreren Kohorten und - am wichtigsten - ein hochmotiviertes, wissbegieriges Team".
(dh)
Links:
Sektion für Genetische Epidemiologie
Sequencing & Genotyping Core Facility
A genome-wide association study of metabolic traits in human urine. Nature Genetics 43:565-569, 2011.
Human metabolic individuality in biomedical and pharmaceutical research. Nature 477:54-60, 2011.
Mirror extreme BMI phenotypes associated with gene dosage at the chromosome 16p11.2 locus. Nature 478:97-102, 2011.
Genome-wide association and large-scale follow up identifies 16 new loci influencing lung function. Nature Genetics 43:1082-1090, 2011.
A genomewide perspective of genetic variation in human metabolism. Nature Genetics 42:137-141, 2010.
Multiple new loci associated with kidney function and chronic kidney disease. Nature Genetics 42:376-384, 2010.
Biological, clinical and population relevance of 95 loci for blood lipids. Nature 466:707-713, 2010.
Meta-analysis identifies 13 new loci associated with waist-hip ratio and reveals sexual dimorphism in the genetic basis of fat distribution. Nature Genetics 42:949-960, 2010.
Association analyses of 249,796 individuals reveal 18 new loci associated with body mass index. Nature Genetics 42:937-948, 2010.
GEN-AU