ALUMN-I-MED Podiumsdiskussion: Land ohne ÄrztInnen?
Es wird zunehmend schwieriger, für ÄrztInnen auf dem Land NachfolgerInnen zu finden. Über die Ursachen und Lösungsmöglichkeiten eines drohenden ÄrztInnenmangels in ländlichen Regionen diskutierte Ende März ein hochkarätig besetztes Podium im Hypo Tirol Center in Innsbruck. Em. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Raimund Margreiter, Präsident des AbsolventInnenvereines der Medizinischen Universität Innsbruck, ALUMN-I-MED, lud dazu Experten aus Österreich und Deutschland ein.
In den nächsten Jahren werden rund fünfzig Prozent der praktischen ÄrztInnen in Pension gehen: Ein drohender Mangel in der medizinischen Versorgung auf dem Land wird daher derzeit breit in den Medien diskutiert. Im Rahmen seiner jährlich stattfindenden Podiumsdiskussionen widmete sich auch der AbsolventInnenverein „ALUMN-I-MED“ diesem aktuellen Thema. „Land ohne ÄrztInnen?“ lautete der Titel der gut besuchten Veranstaltung. Auf dem Podium diskutierten der Präsident der Tiroler Ärztekammer, MR Dr. Artur Wechselberger, der Direktor der Tiroler Gebietskrankenkasse, Dr. Arno Melitopulos, der Präsident der Bayerischen Ärztekammer, Dr. Max Kaplan und ao. Univ.-Prof. Dr. Christoph Brezinka von der Medizinischen Universität Innsbruck.
Nachwuchsorgen auch in Deutschland
In Impulsreferaten sowie einer anschließenden Debatte erläuterten die Experten die derzeitige Situation und diskutierten mögliche Lösungsansätze. Der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, Dr. Max Kaplan, berichtete dem interessierten Auditorium von den Nachwuchssorgen in Deutschland: „In Bayern sind derzeit 23 Prozent der Hausärzte über 60 Jahre und werden daher in den nächsten fünf Jahren ausscheiden.“ Mit der Vergrößerung von Bereitschaftsdienstgruppen und der Entwicklung eines kooperativen Belegarztsystems für kleine Krankenhäuser in ländlichen Regionen werde versucht, der drohenden Unterversorgung der ländlichen Bevölkerung entgegenzuwirken.
Leistungskatalog
Der Präsident der Tiroler Ärztekammer, MR Dr. Artur Wechselberger, nannte als Gründe warum eine Praxis auf dem Land zunehmend unattraktiver wird, unter anderem den Leistungskatalog der Sozialversicherungsträger. „Dieser trägt nicht den Bedürfnissen von Praxen in ländlichen Regionen Rechnung. AllgemeinmedizinerInnen dürfen beispielsweise nicht nur für EKG´s, Sonographien, geriatrisches Assessment oder unter anderem für die Behandlung psychischer Erkrankungen Honorare verrechnen.“ Der Präsident der Tiroler Ärztekammer hält daher eine Adaptierung des Leistungskatalogs für notwendig.
Finanzpolitische Rahmenbedingungen
Vor welchem schwierigen ökonomischen Hintergrund sich die Diskussion um die ausreichende ärztliche Versorgung der Landbevölkerung abspielt, erläuterte der Direktor der Tiroler Gebietskrankenkasse Dr. Arno Melitopulos: „Die Bundesregierung hat der gesetzlichen Krankenversicherung einen sogenannten Kostendämpfungspfad verordnet, der bestimmt, dass von 2010 bis 2013 € 1,725 Mrd. einzusparen sind. Den Kassen sind die exakten Ausgabenobergrenzen etwa für Medikamente und Ärzte vorgegeben. Dadurch wird der Handlungsspielraum der Kassen auch für die Frage der Sicherung der ärztlichen Versorgung auf dem Land eingeschränkt.“
Diskussion um Hausapotheken
Ein Thema, das im Laufe des Abends häufig angesprochen wurde, war die aktuelle Diskussion um die Hausapotheken. Bis 2021 sollen weitere 30 Prozent der Hausapotheken abgeschafft werden. Insbesondere der Präsident der Tiroler Ärztekammer plädierte aber dafür, dieses System beizubehalten. „Wenn zwei kleine Hausapotheken zu einer großen öffentlichen Apotheke zusammengeführt werden, müssen die PatientInnen in ländlichen Regionen häufig sehr weit fahren. Diese Maßnahme hat also keinen Versorgungseffekt. Den ÄrztInnen wird dadurch aber eine wichtige Einkommensmöglichkeit genommen.“ Unterstützung bekam er dabei von seinem Amtskollegen aus Bayern. „Ich will sie unbedingt ermuntern, an den Hausapotheken festzuhalten. Studien aus der Schweiz zeigen, dass diese Kosten reduzieren, allerdings keinen Qualitätsverlust darstellen. Eine solche Lösung wäre jedoch für Deutschland nicht vorstellbar, weil unsere Strukturen anders gewachsen sind“, sagt Dr. Kaplan, der gleichzeitig auch Vizepräsident der Bundesärztekammer ist. Als Beobachter dieser Diskussion sieht sich die TGKK. „Die Kasse kann das nicht entscheiden, aber in dieser Frage geht es nicht um´s Sparen, das ist eine Versorgungsfrage. Außerdem ist die Hausapotheke ein wichtiges Incentive, um die Positionen auf dem Land attraktiver zu machen, “ sagte Dr. Melitopulos.
Geänderte Einstellung zur „Work-Life-Balance“
Ein wichtiger Diskussionspunkt war ebenfalls die Berücksichtigung der geänderten Einstellung junger ÄrztInnen zur „Work-Life-Balance“. „Die nachwachsende Generation will engagierte Medizin leisten, aber auch Freizeit genießen“, erklärte Dr. Kaplan. „Wir müssen die jungen KollegInnen dort abholen, wo sie sich befinden, damit sie in die Peripherie gehen. Zukünftig sollte es daher für niedergelassene ÄrztInnen die Möglichkeit neuer Versorgungs- und Kooperationsformen geben.“ Dazu gehören beispielsweise Modelle zur Teilzeitbeschäftigung und das Angebot, in einem Angestelltenverhältnis tätig zu werden. Auf Grund einer zunehmenden Feminisierung des Arztberufes müssen darüber hinaus Modelle zur Vereinbarkeit von Kindern und Beruf geschaffen werden, forderte Dr. Wechselberger. Weitere sinnvolle Maßnahmen wären für den Präsidenten der Tiroler Ärztekammer eine Entlastung im Wochenenddienst sowie der verstärkte Einsatz von Telekommunikation, Telemonitoring und Telemedizin.
Gruppenpraxen – das Modell der Zukunft?
Einen angemessenen Ausgleich zwischen Beruf und Freizeit können ÄrztInnen auch dann finden, wenn sie Kooperationen schließen. Für Dr. Max Kaplan sind Gemeinschaftspraxen daher das Modell der Zukunft. Der Mediziner aus Bayern sprach sich auch für eine vermehrte Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe im ländlichen Raum aus: „Gerade auf dem Land muss es eine verstärkte Vernetzung geben, um gemeinsam die medizinische Versorgung einer Region sicher zu stellen.“ Dr. Melitopulos von der TGKK sieht in dem österreichischen Modell der Gruppepraxen ein sinnvolles System, allerdings sei die derzeitige Gesetzgebung für die Kooperationsmöglichkeiten von ÄrztInnen unzureichend: „Die aktuelle Lösung enthält zu viele Kompromisse. Die Grundidee, die dahinter steckt, konnte mit dem Gesetz nicht realisiert werden. Wir müssen also nach lokalen Lösungen suchen.“
Lösungsansätze aus anderen Ländern
Wie andere Länder dem Thema begegnen, zeigte Univ.-Prof. Dr. Christoph Brezinka von der Medizinischen Universität Innsbruck auf. In Frankreich sorgt beispielsweise ein spezielles Angebot an Medizinstudierende im zweiten Studienjahr für Diskussionen im laufenden Wahlkampf: Die angehenden ÄrztInnen erhalten eine hohe Förderung für ihr Studium, wenn sie sich im Anschluss verpflichten, in ländlichen unterversorgten Regionen tätig zu werden. Bei Nichterfüllung des Vertrages drohen hohe Strafen. Umstritten ist allerdings, ob ein Studierender im zweiten Studienjahr schon in der Lage ist, eine so weitreichende Entscheidung zu treffen. Innovativ sind auch die Maßnahmen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung in ländlichen Regionen in Kanada: Dort erhalten LandärztInnen Zuschüsse für Fortbildungen und sind in den Studienkommissionen für die Abschlussprüfungen der zukünftigen ÄrztInnen vertreten. „Außerdem erhalten MedizinerInnen Zuzahlungen, die vom Breitengrad, in denen die ärztlichen Tätigkeit ausgeführt wird, abhängig ist“, weiß Prof. Brezinka, der auch Vizepräsident des Vereins „ALUMN-I-MED“ ist.
Lösungsmöglichkeiten
Im Rahmen der zweistündigen Diskussion wurden auch die Förderungen für ÄrztInnen, die sich auf dem Land niederlassen möchten, angesprochen: „Über Ansiedlungsförderungen muss nachgedacht werden“, meinte beispielsweise Dr. Melitopulos. Auch Dr. Wechselberger hält Unterstützungen bei der Ordinationsraumbeschaffung und Übergaben für sinnvolle Lösungsansätze. Für Prof. Brezinka ist das wichtigste Incentive, dass es keine weiteren Verschlechterungen für niedergelassene ÄrztInnen gibt. Außerdem gab der Oberarzt der Innsbrucker Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin zu bedenken, dass alle diskutierten Lösungen eines gemeinsam haben: „Es muss Geld in die Hand genommen werden.“ Zum Ende der Diskussion wies der Direktor der Tiroler Gebietskrankenkasse, Dr. Melitopulos, nochmals darauf hin, dass an Lösungen bereits konkret gearbeitet werde: „Das Land Tirol und die Tiroler Sozialversicherungsträger arbeiten mit der Tiroler Ärztekammer an einer Bedarfsplanung, dem so genannten Regionalen Strukturplan Tirol. Dabei werden die in dieser Diskussion aufgeworfenen Fragen methodisch korrekt und detailliert bearbeitet und Lösungswege für die Zukunft aufgezeichnet werden.“
(hof)
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