Neue Strategien für Diagnose und Therapie
Zukunftsweisende Verfahren zur Erkennung und Behandlung von neurologischen Erkrankungen wurden vergangene Woche bei der 6. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie im Congress Innsbruck diskutiert. Die Bildgebung in der Neurologie, der neurologische Notfall und psychogene neurologische Syndrome waren einige der Themen, über die die rund 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich informieren konnten.
Die Menschen werden immer älter. Aktuelle Untersuchungen gehen davon aus, dass die Lebenserwartung pro Jahrzehnt um 2,6 Jahre ansteigt. Das ist für eine medizinische Disziplin wie die Neurologie, die sich mit dem zentralen Nervensystem beschäftigt, von besonderer Bedeutung, weil eine Reihe neurologischer Krankheiten altersassoziiert sind, sagte Tagungspräsident Prof. Werner Poewe, Vorstand der Univ.-Klinik für Neurologie. Neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer-Demenz oder die Parkinson-Erkrankung sind vor dem 60 Lebensjahr zumeist noch selten, steigen dann aber zahlenmäßig rapide an. Gemäß einer aktuellen Prognose wird sich in den kommenden 25 Jahren die Zahl der Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson weltweit verdoppeln.
Moderne Bildgebung ermöglicht frühere Diagnose
Moderne Gehirnbildgebung bietet heute nicht nur Einblicke in gestörte Strukturen sondern zunehmend auch in frühe Funktionsstörungen, die den Vollbildern diverser Erkrankungen um Jahre vorausgehen können, erklärte Prof. Poewe. Hier können frühzeitige Therapien ansetzen, um auf den weiteren Krankheitsverlauf einzuwirken und letztlich Behinderungen zeitlich hinauszuzögern oder ganz zu verhindern. Die nuklearmedizinische Technik der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) ist seit längerem zur Analyse von Stoffwechselstörungen und zur Charakterisierung von Veränderungen im Haushalt hirneigener Botenstoffe in der Diagnostik etabliert. Prof. David Brooks aus London hat auf dem Kongress aufregende neue Entwicklungen auf dem Gebiet der PET-Bildgebung der Alzheimer-Krankheit vorgestellt. Durch neue Markierungsstoffe ist es gelungen, die für die Krankheit charakteristische Ablagerung des Beta-Amyloid sichtbar zu machen. Aus diesem Stoff bestehen die charakteristischen Alzheimer-Plaques, die die Neuropathologie der Krankheit kennzeichnen. Das Amyloid-Imaging stellt einen wichtigen Durchbruch dar, weil wir nun Menschen mit erhöhtem Krankheitsrisiko identifizieren können, sagte Prof. Werner Poewe. Das ist eine wichtige Voraussetzung für eine möglichst frühzeitige präzise Diagnose und optimale Therapie.
Neues zur Parkinson-Frühdiagnostik
Auch im Bereich des Morbus Parkinson haben die letzten Jahre neue Wege aufgezeigt, die Erkrankung immer früher zu diagnostizieren und womöglich in Zukunft auch das Parkinson-Risiko von gesunden Patienten besser definieren zu können. Parkinson ist durch eine Degeneration des Neurotransmitters Dopamin in bestimmten Regionen des Gehirns gekennzeichnet. Mittels SPECT- Photometrie ist es möglich, dieses Defizit bereits vor Auftreten der klinischen Symptome zu erfassen. Weiters ermöglicht SPECT die Differenzierung degenerativer Parkinson-Syndrome von nicht-degenerativen Parkinson-Syndromen und anderen Beschwerden. Einer klinischen Forschergruppe in Innsbruck um Christoph Scherfler ist es gelungen ein neues kernspintomographisches Merkmal von Parkinson-Patienten aufzudecken. Es handelt sich um eine Störung der Diffusionseigenschaften von Wassermolekülen, welche mit standardisierten MR-Verfahren messbar sind. Die Arbeitsgruppe konnte nachweisen, dass bei Parkinson-Patienten signifikante Störungen im Bereich der Riechnerven vorhanden sind. Dieser Befund ergänzt sehr gut die klinisch lange bekannte Tatsache einer ausgeprägten Geruchssinn-Störung bei über 90 % der Parkinson-Patienten. Gegenwärtig untersucht die Gruppe inwieweit diese Veränderung auch als Screening-Methode für das Parkinson-Riskio von Gesunden verwendbar ist und wird dabei durch eine Projektförderung der Medizinischen Universität Innsbruck unterstützt. Auch die Ultraschalldiagnostik spielt neuerdings eine potentiell wichtige Rolle in der Parkinson-Diagnostik. Mittels dieser einfachen, kostengünstigen und nicht invasiven Technik lassen sich bei Parkinson-Patienten charakteristische Änderungen im Ultraschallecho in der Gegend der so genannten Substantia Nigra des Mittelhirns nachweisen. Gleiche Veränderungen finden sich allerdings auch bei bis zu 10 % der Normalbevölkerung und gegenwärtig wird in Verbundstudien an großen Kollektiven gesunder Menschen untersucht, inwieweit dieses Ultraschallmerkmal als Risikomarker für eine Parkinson-Krankheit verwendbar ist.
Keine Zeit verlieren!
Einen weiteren Schwerpunkt bei der Jahrestagung der Österreichischen Neurologie bildete der Schlaganfall, der auch junge Menschen treffen kann. Vier Prozent der rund 25.000 Schlaganfallpatienten pro Jahr in Österreich stellen junge Erwachsene unter 45 Jahren. Diese Personen warten nach den ersten Symptomen oft sehr lange, bis sie ärztlichen Rat suchen. Gerade beim Schlaganfall ist aber eine sofortige Behandlung entscheidend. Die medikamentöse Auflösung des im Gehirn aufgetretenen Blutgerinnsels muss innerhalb von drei Stunden nach dem Vorfall einsetzen. Nur dann kann ein bleibender Hirnschaden verhindert werden. Die Experten rufen deshalb alle Menschen dazu auf, bei unklaren Symptomen wie plötzlichen Sprach-, Seh- und Verständnisstörungen oder Lähmungserscheinungen sofort den Notarzt zu kontaktieren. Derzeit stehen in Österreich 30 Stroke Units, auf Schlaganfallpatienten spezialisierte Einrichtungen, zur Verfügung. Ein weiterer Ausbau ist geplant. Eine optimale Versorgung ist erst dann erreicht, wenn jeder Patient innerhalb einer Stunde eine solche Stroke Unit erreichen kann.
Umfangreiches Programm
Neben diesen Schwerpunktthemen bot der Kongress eine Fortbildungsakademie mit 16 Praxisseminaren zu einem breiten Spektrum von Fragenstellungen der klinischen Neurologie. Eine Posterausstellung mit 114 Arbeiten aus den Neurologichen Arbeitsgruppen Österreichs und eine große Industrieausstellung sowie täglich stattfindende Satellitensymposien ergänzten das umfangreiche Programm.