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Neurobiologie der Psychotherapie im Fokus

Neurobiologische Beschreibungen mentaler Phänomene in der Psychotherapie werden zunehmend interessanter. Die Erwartungen, psychische Prozesse aus Sicht des Gehirns verstehen und erklären zu können, steigen. Beim Kongress "Neurobiologie der Psychotherapie" kamen vergangenes Wochenende über 350 Fachleute in München zusammen. Prof. Christian Schubert von der Univ.-Klinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie war maßgeblich an der Organisation des Kongresses beteiligt.

Während des Kongresses wurde einmal mehr deutlich, dass die Neurowissenschaft eine neue Kultur der Interdisziplinarität benötigt, und diese auch entwickelt. Unter anderem arbeiten hier Medizin, Psychologie, Physik, Informatik und Philosophie zusammen und entwickeln ein vertieftes Verständnis füreinander. Im Verlauf des Kongresses zeigte sich auch einmal mehr, dass es für das Verstehen der Funktionsweise des Gehirns weder ausreicht, einzelne Funktionen bestimmten Hirnarealen zuordnen zu können, noch den Organismus losgelöst von seiner Beziehungswelt, also z. B. dem psychotherapeutischen Setting zu sehen. Vielmehr muss es gelingen, dynamische lineare und nichtlineare Systemzusammenhänge gemeinsam mit der psychosozialen Realität der untersuchten Person integrativ zu erfassen. Schließlich diversifiziert sich nicht nur die Palette von Anwendungen – immer neue Störungsbilder werden neurobiologisch erforscht – sondern es werden bereits Möglichkeiten für ein umfassendes bio-psycho-soziales Verständnis des Menschen erarbeitet: Erste Ansätze, wie soziale und kommunikative Prozesse mit komplexen neuroendokrinen und neuroimmunen Kaskaden in Verbindung stehen, wurden auf der Tagung präsentiert (Psychoneuroimmunologie, Psychoneuroendokrinologie). Mentale Prozesse sind demnach auf den Körper als Ganzes einschließlich seiner diversen Umwelten angewiesen.

Interdisziplinarität gefragt

Erstaunlich ist, dass inzwischen zwar die Effekte, aber noch nicht die zeitlichen Veränderungen während der Psychotherapie Gegenstand der Forschung sind. Neue Möglichkeiten bietet hier die gezielte Beobachtung der Prozesse von Erleben und Verhalten in einer engen Wechselbeziehung mit neurobiologischen Messungen. Die neurowissenschaftliche Erforschung menschlicher Lern- und Entwicklungsprozesse setzt die theoretische Modellierung und empirische Erfassung des komplexen Systems Mensch und seiner Dynamik voraus. All dies verweist darauf, dass die Neurobiologie der Psychotherapie den theoretischen Rahmen und die Methodik (einschließlich der mathematischen Instrumente) der Wissenschaft komplexer nichtlinearer Systeme braucht, um Fortschritte zu machen und um die zentrale Frage – Wie verändert der Mensch seine Muster des Denkens, Fühlens und Verhaltens? – angemessen bearbeiten zu können. Das wissenschaftlich am besten ausgearbeitete Instrumentarium dazu bietet nach Meinung von Experten derzeit die Synergetik, die Theorie der Selbstorganisation komplexer Systeme. Die Synergetik des Gehirns wurde auf dem Kongress von ihrem Begründer, Prof. Hermann Haken, dargestellt, der in wenigen Tagen seinen 80. Geburtstag feiern wird.

Neue Trends und Entwicklungen diskutiert

Der aktuelle Kongress, der an die erfolgreichen Tagungen „Neurobiologie der Psychotherapie“ (Juli 2003 in Innsbruck) und „Synergetik von Psyche und Gehirn“ (Juni 2005 in Krems) anschloss, griff dieses breite Interesse auf und vermittelte in zahlreichen Plenumsvorträgen, Symposien, Workshops und einer Podiumsdiskussion ein großes Spektrum von Informationen. Die Entwicklungen, die sich inzwischen auf eine Vielzahl von Anwendungen und Störungsbildern der Psychiatrie und Psychosomatik beziehen, wurden in ihren methodischen Grundlagen, in wissenschaftlichen Ergebnissen, aber auch hinsichtlich der Frage nach ihrem praktischen Nutzen von renommierten Expertinnen und Experten dargestellt. Der Kongress bot sowohl die Möglichkeit, sich über neueste Trends und Entwicklungen zu informieren und auszutauschen, die Grenzen des Machbaren methodenkritisch zu hinterfragen, als auch für Einsteiger Basiswissen zu erwerben. Die Tagung hatte damit sowohl Wissenschafts- als auch Fortbildungscharakter.