Computer mit Herz
Mit einer innovativen Kombination aus Zellbiologie und Computersimulation entschlüsselten Forscher der Arbeitsgruppe von Prof. Bernhard Flucher von der Sektion für Physiologie die Bedeutung der Kalziumkanal alpha2delta-1 Untereinheit in der Funktion von Herzmuskelzellen. Sie berichten in der Zeitschrift PNAS, dass der Verlust dieses Proteins eine für Herzrhythmusstörungen charakteristische Veränderung der Erregungs-Kontraktions-Kopplung verursacht.
Wie untersucht man die Funktion eines Proteins das essentiell für die Entwicklung und Funktion des Herzens ist? Mit diesem Problem sahen sich die Innsbrucker Forscher konfrontiert, als sie die Rolle der Kalziumkanal alpha2delta-1 Untereinheit im Herzen studieren wollten. Die üblicherweise für solche Fragestellungen verwendeten Knockout-Mäuse sterben bereits in der frühen Embryonalentwicklung. Auch in Zellkulturen lassen sich Herzmuskelzellen bislang nicht lange genug halten, um eine effiziente zelluläre Gen-Stilllegung zu erreichen. Deshalb versuchten es die Innsbrucker Physiologen um Prof. Bernhard Flucher mit einer neuen Strategie: Der erste Schritt zur Lösung des Problems war die Schaffung eines Modellsystems für die kardiale Erregungs-Kontraktions-Kopplung. Durch den Austausch der Kanaltypen wurde eine Skelettmuskelzelle mit Eigenschaften einer Herzmuskelzelle erzeugt. In diesem Zellsystem konnte nun die Synthese der alpha2delta-1 Kanaluntereinheit mittels shRNA unterdrückt werden und die Auswirkungen davon mit biophysikalischen Techniken untersucht werden. Während der Kanal auch ohne das alpha2delta-1 Protein ganz normal in die Zellmembran eingebaut wurde, waren die Kanaleigenschaften verändert und das Aktionspotential deutlich verlängert.
Computermodell bestätigt experimentelle Ergebnisse
Sind aber Untersuchungen an einem solchen Modellsystem tatsächlich auf die Funktion von Herzzellen übertragbar? Um diese Frage zu klären, bediente sich Petronel Tuluc, ein Doktorand im MCB Doktoratsprogramm, eines quantitativen Computermodells von Herzmuskelzellen. Während Hodgkin und Huxley 1952 lediglich die Leitfähigkeiten für Natrium- und Kaliumionen benötigten, um das Aktionspotential im Riesenaxon des Tintenfischs zu beschreiben, berücksichtigt das von Tuluc verwendete kardiale Computermodell 19 Leitfähigkeiten und zelluläre Parameter um die Funktion einer Herzzelle zu simulieren. Als erstes musste ich meinem Doktoraten einen leistungsfähigeren Computer kaufen, erzählt Bernhard Flucher, damit die Simulation eines Herzschlages nicht mehr die ganze Nacht dauerte. Nachdem das Programm mit den Daten aus den Knockdown-Experimenten gefüttert wurde, zeigte sich, dass auch im Computermodell der Verlust der alpha2delta-1 Untereinheit zu einer signifikanten Verlängerung des kardialen Aktionspotentials und zu einer Verdopplung des Kalziumanstiegs während eines Herzschlags führte. Diese Ergebnisse der Computersimulation bestätigten nicht nur die Aussagekraft des zellulären Modellsystems für kardiale Erregungs-Kontraktions-Kopplung, sondern sie reihen auch die alpha2delta-1 Untereinheit des spannungsaktivierten Kalziumkanals in die Liste der Kandidatengene für genetisch bedingte Formen des lebensgefährlichen Long QT Syndroms bzw. von Herzrhythmusstörungen ein.