Weltweit neue Therapie für Dystonie
In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern mehrerer europäischer Universitätskliniken sind Innsbrucker Neurologen und Neurochirurgen erstmals mit einer Therapie für die Bewegungsstörung Dystonie erfolgreich. Mit einer Tiefen Gehirnstimulation können die Krankheitssymptome weitgehend gelindert werden. Das New England Journal of Medicine berichtete vor kurzem darüber.
Wir halten die Augen offen, blättern eine Zeitung um, notieren etwas, gehen zu einem Termin. Für 8.000 Menschen in Österreich sind diese Aktivitäten eine tägliche Qual. Sie leiden an der neurologischen Bewegungsstörung Dystonie. Gegen die ausgedehnte Form dieser Krankheit gab es bisher keine Behandlung. Im Zuge der neuen Studie wurde 40 Patienten unter Vollnarkose eine Stimulationselektrode mit rund einem Millimeter Durchmesser ins Gehirn verpflanzt. Dieses Implantat regt dauerhaft jenes Hirnareal (Globus pallidus internus) an, das bei Dystonie fehlerhaft funktioniert und deshalb die mitunter schweren Haltungs- und Bewegungsstörungen auslöst. Erstmals konnten die Mediziner zeigen, dass durch die Tiefe Gehirnstimulation (Deep-brain Stimulation) bei den schwersten Formen der Dystonie, den so genannten generalisierten oder segmentalen Dystonien, eine weit reichende Symptomlinderung erzielt werden kann. Die Deep-brain Stimulation ist eine Therapie, die bisher unter anderem bei bestimmten Formen der Bewegungsstörung Parkinson erfolgreich eingesetzt wird.
Bahnbrechende Therapie
Bei den generalisierten oder segmentalen Dystonien sind mehrere Körperbereiche betroffen. Ein Betroffener leidet zum Beispiel unter Verkrampfungen von Augen, Mund und Halsmuskulatur mit zusätzlichen unwillkürlichen Bewegungen der Arme oder Beine, sodass auch der Gebrauch der Hände oder das Gehen erschwert oder unmöglich sein kann. Durch die tiefe Gehirnstimulation kann den Betroffenen häufig so gut geholfen werden, dass zuvor nicht mehr gehfähige, in vielen Alltagsfunktionen auf Hilfe angewiesene Menschen wieder ein normales Leben führen können, erklären Prof. Jörg Müller und Prof. Wilhelm Eisner vom Innsbrucker Team. Die Klinik für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck unter Leitung von Prof. Werner Poewe hat gemeinsam mit der von Prof. Klaus Twerdy geführten Klinik für Neurochirurgie als einziges österreichisches Zentrum an dieser ersten Studie maßgeblich mitgewirkt. Insgesamt waren neben Innsbruck elf Kliniken und Universitäten aus Deutschland und Norwegen beteiligt. Die nun erstmals belegte Wirksamkeit der neuen Therapie wird in der internationalen Medizin als bahnbrechend gewertet.
Bewegungsstörungen, die in jedem Lebensalter auftreten können
Unter Dystonie versteht man eine vom Gehirn ausgehende Fehlfunktion bei der Kontrolle von Bewegungen, die vom Betroffenen unbeeinflussbar ist. Dystonien sind Bewegungsstörungen, die in jedem Lebensalter auftreten können. Ausgelöst werden sie durch Fehlfunktionen des im Gehirn erzeugten motorischen Programms für die jeweilige Bewegung, zum Teil besteht eine genetische Ursache. Es besteht keine Beeinträchtigung der geistigen Funktion bei den betroffenen Patienten. Für die tiefe Gehirnstimulation eignen sich nach derzeitigem Wissensstand in erster Linie Patienten mit so genannten primären Dystonien. Das heißt, die Dystonie tritt spontan auf und ist nicht Folge einer Hirnschädigung durch einen Geburtsschaden oder Folge einer unfallbedingten Gehirnverletzung. Dystonien gelten nach der Parkinson-Krankheit als häufigste Bewegungsstörung. Sie sind noch verbreiteter als Multiple Sklerose. Da sich Dystonien auf vielfältige Art und Weise manifestieren, sind sie viel weniger bekannt. Leider wird dieses Krankheitsspektrum teilweise immer noch als psychisches Leiden verkannt, obwohl eindeutig erwiesen ist, dass es sich um ein organisches Leiden handelt, betont Müller. Menschen, die unter Dystonie leiden, können häufig viele alltägliche Verrichtungen nicht alleine bewältigen, leiden teilweise unter starken Schmerzen und vor allem auch unter der Stigmatisierung durch ihre Umwelt.