Schlaflos in Österreich
Ein durchschnittlicher Mensch verbringt rund 25 Jahre im Bett. Keine Frage, dass Schlafstörungen da zu schwerwiegenden Problemen führen können. Derzeit diskutieren im Rahmen des 18. Kongresses der European Sleep research Society (ESRS) mehr als 1.000 SchlafforscherInnen aus der ganzen Welt in Innsbruck über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in diesem Bereich. Der Kongress findet zu ersten Mal in Österreich statt und wurde von Prof. Werner Poewe, Vorstand der Universitätsklink für Neurologie und Prof. Birgit Högl, Leiterin des Innsbrucker Schlaflabors an der Neurologie federführend organisiert.
Der Schlaf sorgt für ähnlich viel Gesprächstoff wie das Wetter. Albträume, der vermeintlich Schlaf-raubende Vollmond, ein schnarchender Partner oder der Jet Lag nach einer langen Flugreise sind in aller Munde. Kaum verwunderlich, denn immerhin verschlafen wir rund ein Drittel unseres Lebens. Ein Mensch mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung verbringt rund 25 Jahre im Bett. Eine Untersuchung der Österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung (ÖGSM) hat ergeben, dass für fast jeden dritten Österreicher die nächtliche Ruhe allerdings keine Entspannung, sondern Qual bedeutet. Sie leiden an einer Schlafstörung und können nicht durch- oder erst gar nicht einschlafen. Und das Nacht für Nacht. 10 bis 20 Prozent der sonst gesunden Bevölkerung klagen über das Gegenteil davon, nämlich Tagesmüdigkeit (oder Schwierigkeiten, sich tagsüber wach zu halten), was ebenfalls auf ganz unterschiedliche schlafmedizinische Erkrankungen hindeuten kann.
90 verschiedene Schlafstörungen
Doch nur wenige Betroffene gehen zum Arzt und suchen medizinische Hilfe. Sie nehmen die Belastung ihrer Lebensqualität und Gesundheit in Kauf oder versorgen sich selbst mit diversen Schlafmitteln. Dadurch kann das Schlafproblem allerdings nicht beseitigt werden, denn die Schlafmedizin unterscheidet über 90 verschiedene Störungen des Schlafes und jede bedarf einer individuellen Behandlung.
Schlafstörungen lassen sich in sechs Hauptgruppen unterteilen: Die größte ist die der Insomnien. Dazu gehören allein 11 verschiedene Arten von mangelhaften bzw. ungenügend erholsamen Schlaf. Das Gegenstück dazu sind die Hypersomnien. Sie gehen mit vermehrter Schläfrigkeit untertags und erhöhtem Schlafbedarf einher. Die Gruppe der schlafbezogenen Atemstörungen umfasst 14 Diagnosen. Die wichtigste ist das obstruktive Schlafapnoesyndrom, an dem 2 bis 4 Prozent der Bevölkerung leiden und durch lautes Scharchen, plötzlicher Atempause und dann wieder fast explosionsartig beginnendes erneutes Schnarchen gekennzeichnet ist. Schlafapnoe wiederum verursacht unbehandelt Erkrankungen, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfälle oder die Nykturie.
In die Kategorie der schlafbezogenen Bewegungsstörungen fallen u.a. das sehr häufige Restless Legs Syndrom, ein äußerst unangenehmes Unruhegefühl in den Beinen, von dem rund 10 Prozent der Österreicher betroffen sind. Auch Zähneknirschen und das häufig im Kindesalter auftretende so genannte Head Banging, bei dem der Kopf rhythmisch gegen die Unterlage geschlagen wird, ordnen die Schlafforscher dieser Gruppe zu. Circadiane Störungen (Störungen der inneren Uhr), unter der extreme Nachtmenschen leiden und zu denen auch der Jet Lag zählt, sowie Parasomnien (z.B. Schlafwandeln, nächtliches Aufschrecken, Schlaflähmung, Albträume, violentes Verhalten während des Schlafs, nächtliches Einnässen und die Nykturie) werden nach wie vor leider häufig noch nicht erkannt oder nicht korrekt eingeschätzt.
Schlafdefizit fordert seinen Tribut
Der Schlaf ist für den ganzen Menschen, was das Aufziehen für die Uhr hat schon Arthur Schopenhauer gesagt. Dieser Vergleich ist äußerst passend, denn unser Körper funktioniert nach einer inneren Uhr. Der biologische Rhythmus verlangt eine regelmäßige und ausreichende Ruhephase innerhalb des 24-Stunden-Taktes. Wer über lange Zeit hinweg die Nacht zum Tag macht, häuft beträchtliche Schlafschulden an. Die innere Uhr kommt aus dem Rhythmus und die regulativen Vorgänge im Körper aus dem Lot. Ein Teufelskreis beginnt: Eine Schlafstörung kann organische Störungen auslösen und eine organische Störung wiederum kann Ursache einer Schlafstörung sein.
Im Schlaf entspannt der Körper, tankt neue Energie und verarbeitet das tagsüber Erlebte. Zu wenig Schlaf verschlechtert die Stimmung und kann mitunter in eine tiefe Depression führen. Wir werden weniger belast- und motivierbar und die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit sinkt beträchtlich. Die Unfallgefahr im Straßenverkehr, am Arbeitsplatz oder im Haushalt steigt durch die Schlafmangelzustände und unerkannten Schlafkrankheiten ebenfalls beträchtlich an. Des Weiteren wird im Schlaf die Immunabwehr gestärkt. Schlafdefizit kann somit krank machen. Das Erkrankungsrisiko steigt bei Männern mit Schlafstörungen um das Sechsfache, bei Frauen ist es 3,5-Mal höher als bei gut Schlafenden. Beim ESRS-Kongress wird ein sehr eindrucksvolles Ergebnis einer amerikanischen Untersuchung vorgestellt: Man verabreichte Freiwilligen mit Schlafapnoe-Syndrom sowie Gesunden eine Grippeimpfung und beobachtete die Abwehrentwicklung. Es zeigte sich eine signifikant schlechtere Abwehrreaktion bei jenen Studienteilnehmern, die ein Schlafapnoe-Syndom hatten. Ähnliche Ergebnisse sind auch aus anderen Untersuchungen nach Schlafentzug bekannt.
Schlafdefizit kann mürrisch, krank, vergesslich und sogar dick machen
Auch das Gedächtnis ist nachtaktiv: Im Schlaf wird Wissen abgespeichert. Das erklärt, weshalb bei dauerhaftem Schlafmangel die Gedächtnisleistung kontinuierlich nachlässt und man vergesslicher wird. Ein Hinweis für Männer: Testosteron wird in der Nacht gebildet. Schläft Mann zuwenig, kann weniger Testosteron produziert und somit weniger Muskelmasse aufgebaut werden. Trainieren allein reicht für einen wohlgeformten Körper somit nicht aus.
Besonders unerfreulich für Frauen ist die Tatsache, dass Schlafstörungen dick machen können. Zu erklären ist dieses Phänomen dadurch, dass im Schlaf das Hormon Leptin ausgeschüttet wird, welches eine Appetit zügelnde Wirkung besitzt. Wacht man auf, kommt anstelle von Leptin Ghrelin zum Einsatz. Dieses Hormon ist für das Hungergefühl und den nächtlichen Gang zum Kühlschrank verantwortlich. Außerdem benötigen Kurzschläfer weniger Kalorien, denn während des Schlafes läuft der Stoffwechsel auf Hochtouren und große Mengen an Zucker werden verbraucht. Ist die Nacht kurz, wird der Stoffwechsel gedrosselt und der Energieumsatz herunter gefahren. Zu diesem Thema werden bahnbrechende Studien am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München gemacht. Eine weitere Studie hat eindrucksvoll gezeigt, dass man um 1.000 Kalorien mehr zu sich nimmt, wenn man eine Nacht wach bleibt. Und Psychologen an der Universität von Pennsylvania/USA stellten jetzt den Beweis an, dass Menschen, die zu wenig Schlaf bekommen, viel eher zu ungesundem, fettigem Essen greifen.
Zum Arzt gehen statt Schäfchen zählen
Um eine Chronifizierung der Schlafprobleme zu vermeiden, ist es unbedingt wichtig, einen Arzt aufzusuchen und keine Experimente mit diversen Schlafmitteln zu unternehmen. Im Schlaflabor, eine Spezialambulanz für Schlafstörungen, können für die Diagnose wichtige Parameter aufgezeichnet werden, die Grundlage für die Behandlung sind. Dabei verbringt der Patient mehrer Nächte in der Klinik, wo er nachts unter Beobachtung steht. Wenn die Schlafstörung genau diagnostiziert wurde, kann je nach Befund die richtige Behandlungsform (von einfachen Verhaltensmaßregeln über medikamentöse Behandlung bis hin zu speziellen Therapieformen) eingesetzt werden.