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Kleine Lotsen für Enzyme

Sie gelten als Hoffnungsträger in der molekularbiologischen Forschung: nicht-kodierende RNAs (ncRNAs). Über ihre Funktion ist noch recht wenig bekannt. Viele von ihnen dienen aber offenbar als Lotsen für Enzyme. Sie steuern gleichsam die Proteinenzyme an ihre Einsatzorte in den Zellen. Prof. Alexander Hüttenhofer vom Biozentrum Innsbruck hat sich Gedanken über die evolutionäre Bedeutung dieser ncRNAs gemacht.

Da die RNA sowohl Erbinformation speichert als auch enzymatisch aktiv sein kann, geht die Wissenschaft davon aus, dass die RNA evolutionsgeschichtlich lange vor der DNA entstanden sein muss. Es wird daher auch von einer „frühen RNA-Welt“ gesprochen, in der RNAs beide Aktivitäten (Erbinformation und enzymatische Katalyse) ausgeführt haben. Inzwischen sind wir längst in der Protein-Welt angelangt. Im Menschen und vielen anderen Lebewesen wird jedoch nur ein sehr geringer Teil der Erbinformation in Proteine übersetzt: Nur circa 1,4 Prozent des Genoms bildet dabei die Vorlage für Proteine. Rund die Hälfte des Genoms wird dagegen in so genannte nicht-kodierende RNAs (ncRNAs) übersetzt, die nicht als Vorlage für Proteine dienen, sondern auf der Ebenen der RNA aktiv sind. Die Funktion der meisten dieser ncRNAs ist heute noch unbekannt. Von jenen, deren Rolle inzwischen bestimmt werden konnte, fungieren die meisten als Lotsen für Proteinenzyme. Man nennt sie deshalb auch Guide RNAs. In einem Beitrag in der renommierten Zeitschrift Nature Reviews Genetics hat Prof. Alexander Hüttenhofer vom Biozentrum Innsbruck gemeinsam mit seinem amerikanischen Kollegen Peter Schattner zum ersten Mal diese generelle Funktion vieler ncRNAs detailliert beschrieben und zudem interessante Hypothesen über die evolutionäre Bedeutung der Guide RNAs aufgestellt.

Lotsen in der Zelle

Enzyme, die selbst über kein Erkennungsmodul für bestimmte Stellen in der Nukleinsäure verfügen, werden durch diese Guide-RNA dorthin geführt. Die ncRNAs binden leicht an der Nukleinsäure und ermöglichen dem Enzym dort seine Funktion auszuführen, zum Beispiel den Nukleotidstrang zu schneiden. „Die Guide RNA liefert sozusagen den Schlüssel für das Schloss“, verdeutlicht Alexander Hüttenhofer. „Biologisch hat dieses Verfahren zwei entscheidende Vorteile: Zum einen kann ein Enzym mit verschiedenen Adaptermolekülen arbeiten, was die Effizienz enorm steigert. Zum anderen ist dieses System evolutionär überlegen, weil über Mutationen in der RNA sehr einfach neue Andockstellen in der Nukleinsäure gefunden werden können, während Mutationen im Proteinenzym mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Verlust von dessen Funktion führen.“ Dies scheint auch der Grund zu sein, warum diese ncRNAs im Laufe der Evolution nicht einfach verschwunden sind. Die Wissenschaftler gehen vielmehr davon aus, dass der Umfang ihrer Funktionen sogar stetig steigt.

Chancen für die Medizin

In der Forschung wurden die nicht-kodierenden RNAs lange nicht beachtet. Prof. Hüttenhofer war vor zehn Jahren einer der ersten, der sich der Identifizierung dieser Klasse von RNAs zugewandt hat. Inzwischen hat sich dies grundsätzlich geändert, und heute zählen die RNAs zu den neuen Hoffnungsträgern in der Medizin. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass die diesjährige Nobel-Konferenz am Karolinska Institut in Stockholm der kleinen RNA Welt gewidmet war. Die Nobel-Vereinigung hält sich mit solchen Tagungen über wichtige Entwicklungen in der aktuellen Forschung auf dem Laufenden. Zu der Konferenz im Juni war auch Alexander Hüttenhofer vom Biozentrum Innsbruck eingeladen: „Für mich war es eine große Auszeichnung gemeinsam mit den führenden Leuten auf diesem Gebiet dort teilnehmen zu dürfen.“ Bei der Tagung wurde über den verborgenen Mechanismus der Genregulation diskutiert, der lange Zeit unbeachtet blieb. Es zeigt sich zunehmend, dass der eigentliche Unterschied zwischen den Lebewesen nicht so sehr auf der Anzahl der Gene als vielmehr auf der Funktionalität der nichtkodierenden RNAs beruht. Voraussagen auf Basis von Array-Analysen schätzen die Zahl von ncRNAs bei Menschen auf 450.000, während man von rund 20.000 Protein-kodierenden Genen ausgeht. „Auch wenn die Funktionen dieser RNAs noch nicht bekannt sind, unterstreicht diese Zahl doch die enorme Bedeutung der nicht-kodierenden RNAs.“ An der Tagung wurde auch über weit fortgeschrittene klinische Studien berichtet, in denen ncRNAs bei viralen Erkrankungen zum Einsatz kommen. „Die RNA dient hier als Effektormolekül, das leicht in die Zellen eingebracht werden kann. Der große Vorteil liegt darin, dass die ncRNAs Enzyme rekrutieren können, die bereits in der Zelle vorhanden sind“, so Prof. Hüttenhofer.