Der Kosmos im Kopf
Das Gehirn, das komplexeste Organ der Natur, steht im Mittelpunkt des Forums der Föderation der europäischen neurowissenschaftlichen Gesellschaften (FENS), das derzeit in Wien stattfindet. Mehr als 5.000 Teilnehmer aus 76 Ländern nehmen daran teil. Vorsitzender des lokalen Organisationskomitees ist der Innsbrucker Neurochemiker Prof. Alois Saria von der Univ.-Klinik für Psychiatrie.
In keinem anderen Wissenschaftsgebiet arbeiten so unterschiedliche Fachrichtungen zusammen wie in den Neurowissenschaften: Biochemiker und Molekularbiologen, Mediziner und Psychologen, Pharmakologen, Physiologen, Psychiater und Neurologen, Sprach- und Verhaltensforscher, Ingenieure, Informatiker und Philosophen. Sie alle studieren von ihrer Warte aus den komplexen Kosmos im Kopf. Entsprechend viele Fachrichtungen sind daher auch auf dem Forum der Föderation der europäischen neurowissenschaftlichen Gesellschaften (FENS) vertreten, das bis heute in Wien stattfindet. Es ist der bislang größte Kongress seit der ersten Tagung im Jahr 1998, freut sich Prof. Alois Saria, Vorsitzender des lokalen Organisationskomitees und Leiter des Neurochemischen Labors an der Psychiatrischen Klinik. In 56 Symposien und 9 Plenarsitzungen mit mehr als 3.500 Vorträgen und Postern leuchten die Forscher in Wien das Terrain ihres Faches aus. Der wissenschaftliche Nachwuchs stellt mit zwei Fünfteln einen erheblichen Anteil der Teilnehmer, sagt Alois Saria.
Weit verbreitete Leiden
Die modernen Neurowissenschaften decken ein breites Forschungsspektrum ab. Dieses reicht von der Untersuchung einzelner Moleküle in Nervenzellen bis hin zur Analyse komplexer Verhaltensmuster und das quer durch die vielfältige Welt der belebten Natur, von einfachen Würmern und Insekten angefangen bis hin zu Säugetieren inklusive Mensch. Gleichwohl gibt es Hot Spots der Forschung, die sich auch im Kongressprogramm niederschlugen. Die Veränderlichkeit des menschlichen Gehirns bis ins hohe Alter, seine Neuroplastizität, ist einer jener Bereiche, die derzeit intensiv erforscht werden. Daran geknüpft sind so grundlegende Prozesse wie Lernen und Gedächtnis, die Anpassung an geänderte Umweltbedingungen sowie die Fähigkeit von Nervensystem und Gehirn zur Regeneration, sagt Alois Saria. Auch wie und wann Nervenzellen in verschiedenen Bereichen des Gehirns ihre Aktivität synchronisieren, etwa bei der Gedächtnisbildung, war ein Thema auf der Tagung. Solche Untersuchungen sind nicht nur bedeutsam für das Verständnis der komplexen Gehirnprozesse, sondern haben auch medizinische Bedeutung. So belegt eine Untersuchung des European Brain Council aus dem vergangenen Jahr, dass etwa 127 Millionen Menschen in Europa an Erkrankungen des Gehirns oder des Nervensystems leiden. Dies sind Krankheiten, die neben individuellem Leid auch hohe Kosten verursachen, etwa 386 Milliarden Euro.
Neue Technologien
Angetrieben wird die Neurowissenschaft von modernen Techniken. Die Verfahren des Neuro-Imaging, die Nanotechnologien und Mikroelektronik geben dem Gebiet einen starken Schub. Verbesserte MRI-Techniken ermöglichen inzwischen eine Auflösung, die es erlaubt, die funktionelle Aktivität weniger Nervenzellen zu beobachten, so Saria. So lässt sich beispielsweise die Reifung implantierter Stammzellen beobachten, und selbst den Transport von Botenstoffen in Zellen hinein oder aus diesen heraus können die Forscher inzwischen direkt verfolgen. Die Beobachtung solcher Prozesse wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen.