Wege zur geriatrischen Onkologie
Die Anämie im Alter wird im klinischen Alltag häufig als Teil des physiologischen Alternsprozesses angesehen und in der Diagnostik und Therapie vernachlässigt. Die Altersanämie stellt ein gutes Beispiel für die Relevanz der ganzheitlichen Beurteilung des älteren Menschen in der modernen Medizin dar. Prof. Reinhard Stauder von der Klinischen Abteilung für Hämatologie und Onkologie widmet sich gezielt der Etablierung von Konzepten zur geriatrischen Hämato-Onkologie.
Der Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung in Tirol steigt stetig. Da es sich bei Krebserkrankungen um eine typische Alterserkrankung handelt, wächst auch die Zahl an älteren Tumorpatienten, deren Behandlung die Ärzte vor neue Herausforderungen stellt. Die Entscheidungsfindung ist oft schwierig, erklärt Prof. Reinhard Stauder. Zum einen ist eine ganze Reihe von Vorerkrankungen und Komorbiditäten sowie die mögliche Einschränkung der Funktionen, der Kognition und der sozialen Versorgung zu berücksichtigen, was häufig in komplexen Krankheitsbildern resultiert. Zudem sind gesellschaftliche Vorstellungen zur Therapieentscheidung zu berücksichtigen, welche sowohl die Frage des entindividualisierten Krankenhausbetriebes mit einer ungezielten Übertherapie aber auch die Gefahr der Vorenthaltung von diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten im Sinne einer Altersdiskriminierung betreffen. Die geriatrische Onkologie etabliert gezielt Konzepte zur Beantwortung dieser Fragen, wobei insbesondere die ganzheitliche Sicht und Evaluierung des Menschen im Mittelpunkt steht. In strukturierter Weise wird der betagte Patient in unterschiedlichen Dimensionen erfasst und eine rationale Basis für die individualisierte Therapieentscheidung getroffen.
Das Modell Altersanämie
Ein Beispiel stellt die Altersanämie dar, deren Relevanz bei Jüngeren gut etabliert ist, die aber im Alter oft als Teil des physiologischen Alterns angesehen und dementsprechend in ihrer Bedeutung vernachlässigt wird. Die Anämie im Alter ist häufig: die Prävalenz liegt bei 10 % bei 60-jährigen, bei 20 bis 30 % bei über 80-jährigen Patientinnen und Patienten mit einem Anstieg auf 40% bei Männern über 85. Die exakte Diagnose ist entscheidend, um eine potentielle Grunderkrankung zu erfassen und die Basis für eine Ziel gerichtete Behandlung zu schaffen. Dies ist umso bedeutender, als die Anämie einen kausalen Faktor für die Entwicklung von Morbidität und Mortalität darstellt und die Lebensqualität des älteren Menschen nachhaltig beeinflusst. Wir müssen das Bewusstsein dafür stärken, dass der Anämie meist ganz konkrete Ursachen zugrunde liegen, bekräftigt Prof. Stauder. Für die Diagnose und Therapie sind entsprechende Algorithmen zu entwickeln, nach denen die Behandlung älterer Patienten erfolgen kann. Dies ist von großer klinischer und gesundheitsökonomischer Relevanz. Bei vielen Patienten ist eine Abklärung mit einfachen Methoden möglich und eine wirksame Therapie, etwa bei Eisen- oder Vitamin B12-Mangel, durchführbar. Mit seinem Team möchte Reinhard Stauder deshalb in Zukunft zum einen die demographische Relevanz der Altersanämie analysieren und neue Parameter zur Diagnostik evaluieren. Darüber hinaus werden die Öffentlichkeitsarbeit und insbesondere die Weiterbildung der niedergelassenen Ärzte verstärkt.