Anatomie und Entwicklung des Beckenbindegewebes
Im deutschsprachigen Raum dominiert eine Vorstellung vom menschlichen Beckenbindegewebe, die nach neueren Untersuchungen wesentlich korrigiert werden muss. Zu diesem Ergebnis kam die Innsbrucker Anatomin Prof. Helga Fritsch gemeinsam mit deutschen Kollegen. Nun hat sie im renommierten Journal Lancet Oncology eine Studie veröffentlicht, in der diese Idee auch für den Bereich des Gebärmutterhalses nachgewiesen und Konsequenzen für die Tumortherapie belegt wurden.
Landläufig wird das Beckenbindegewebe im deutschsprachigen Raum als Bandstruktur mit zahlreichen Zwischenräumen beschrieben. Die gängigen Operationstechniken basieren auf dieser Vorstellung. Prof. Helga Fritsch arbeitet bereits seit Ende der 80-er Jahre an der Frage, ob dieses Konzept überhaupt tragfähig ist. In der Zwischenzeit konnte sie gemeinsam mit Prof. Friedrich Stelzner aus Bonn eindeutig nachweisen, dass eine Einteilung des Beckenbindegewebes in drei Kompartimente sinnvoller erscheint. Sie bezog dabei entwicklungsbedingte Besonderheiten im Becken ein und untersuchte die Entwicklung des Bindegewebes bei menschlichen Feten und Neugeborenen. Parallel dazu kamen Forscher im anglophonen Raum zu ähnlichen Ergebnissen. Prof. Fritsch unterhält deshalb auch enge Kontakte zu ihren englischsprachigen Kollegen, insbesondere Prof. Bill Heald, und besucht regelmäßig das Tumorzentrum in Basingstoke, Großbritannien.
Konsequenzen für die Tumortherapie
Bei Mastdarmtumoren haben diese Erkenntnisse bereits zu einer Veränderung der Operationspraxis geführt. Prof. Helga Fritsch untersuchte indes auch die anderen Bereiche des Beckenraumes und konnte nun gemeinsam mit dem Leipziger Gynäkologen Prof. Michael Höckel diese Idee auch für den Bereich des Gebärmutterhalses nachweisen und dessen Konsequenzen für die Tumortherapie belegen. Aufgrund der Entwicklung des Gewebes erweist es sich auch hier als sinnvoll, bei Tumoroperationen die Grenzen des Kompartiments zu berücksichtigen. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass aufgrund der Entwicklung die Organwand, das Tumorepithel und das Bindegewebe die gleichen Lokalisationsgene (HOX-Gene) tragen. Dies soll nun mit zellbiologischen Methoden nachgewiesen werden.
Operationstechniken müssen angepasst werden
Entscheidend für die klinische Praxis ist, dass die Operationstechniken bei Tumorerkrankungen an den Organen im Beckenboden stark verändert werden müssen. Bei frühen Krankheitsstadien muss besonderes Augenmerk auf den Erhalt anderer Strukturen, wie zum Beispiel der Nerven, gelegt werden, damit bei der Erkrankung eines Organssystems die anderen Organe verschont werden und so die Lebensqualität nach Operationen möglichst hoch bleibt. In England sind klinische Studien für die Therapie von Mastdarmtumoren bereits weit fortgeschritten. Der Beitrag von Prof. Fritsch und ihren Kollegen in der Zeitschrift Lancet Oncology könnten nun der Startschuss für ähnliche Untersuchungen im Bereich des Gebärmutterhalses sein.