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Neue Art der Gen-Regulation im menschlichen Gehirn entdeckt

Am Biozentrum Innsbruck wird die Funktion nicht-Protein-kodierender RNAs erforscht. Das Team um Prof. Alexander Hüttenhofer hat nun eine völlig neue Art der Gen-Regulation durch solche nichtkodierenden RNAs im Gehirn entdeckt. Der Mechanismus könnte eine wichtige Rolle bei der Entstehung einer neurodegenerativen Erkrankung, dem so genannten Prader-Willi-Syndrom, spielen.

Vor rund vier Jahren hat das Team um Prof. Alexander Hüttenhofer, damals noch an der Universität Münster, die ersten gehirnspezifischen nicht-Protein-kodierenden RNAs (ncRNAs) gefunden. NcRNAs haben erst vor kurzem die Aufmerksamkeit der Forscher als genetische Schalter auf sich gezogen, die Gene ein- und ausschalten können, und gelten seither als Hoffnungsträger für die Medizin. Rund die Hälfte des menschlichen Genoms wird nicht in Proteine überschrieben, sondern vermutlich in ncRNAs transformiert. Diese übernehmen wichtige regulatorische Funktionen in der Zelle und sind entscheidend für die hohe Flexibilität und Komplexität des menschlichen Lebens. Der Franzose Patrice Vitali, ein Mitarbeiter Hütterhofers, hat eine dieser nur im Gehirn vorkommenden ncRNAs einer genaueren funktionalen Untersuchung unterzogen. Nach sehr aufwändigen und komplizierten Analysen gelangten die Wissenschaftler zur Annahme, dass diese ncRNA durch einen bisher unbekannten Mechanismus in die Expression eines bestimmten Genes eingreift.

Serotoninrezeptor beeinflusst

Die von den Forschern der Sektion für Genomik und RNomik am Innsbrucker Biozentrum beschriebene neue Klasse von ncRNAs greift auf völlig neuartige Weise in die Regulation der Expression eines bestimmten Genes ein, das für den Serotoninrezeptor 2C kodiert. Dieser Rezeptor übernimmt eine wichtige Funktion im zentralen Nervensystem, da er durch Bindung des Hormons Serotonin das Stimmungsverhalten und den Appetit beim Menschen reguliert. Zahlreiche Psychopharmaka, wie Prozac oder Fluctin, zielen auf die Rezeptoren dieses „Glückshormons“. Die von Alexander Hüttenhofer und seinem Team entdeckte ncRNA verändert sehr wahrscheinlich die Expression eben dieses Rezeptors vom Subtyp 2C. Die Überraschung für die Forscher: Dies geschieht auf bisher unbekannte Art und Weise. „Wir am Biozentrum Innsbruck haben diese neue Art der Genregulation zum ersten Mal festgestellt“, so Prof. Hüttenhofer. „Bestätigt sich unsere These, kann dies durchaus als Durchbruch gewertet werden, der zur Entdeckung weiterer regulatorischer ncRNAs im Gehirn des Menschen führen kann. Der Regulationsvorgang selbst ist sehr komplex. Man kann aber sagen, dass die ncRNA sehr wahrscheinlich das so genannte RNA Editing der Serotoninrezeptor mRNA beeinflusst.“ Als Resultat davon wird die Ausbildung eines funktionalen Serotoninrezeptors im Gehirn erst ermöglicht.

Das Prader-Willi-Syndrom

Klinische Relevanz hat die Entdeckung möglicherweise für eine bisher unheilbare Erkrankung, das Prader-Willi-Syndrom (PWS). Weltweit leiden rund 350.000 Menschen an dieser Erkrankung, die durch eine chromosomale Deletion im Erbgut verursacht wird und aufgrund eines fehlenden Sättigungsgefühls zu massivem Übergewicht und unterschiedlichen motorischen und kognitiven Störungen führt. Knock-out-Analysen weisen daraufhin, dass die gestörte Expression des Serotoninrezeptors der Auslöser des Prader-Willi-Syndroms sein könnte. „Wir verstehen uns als Grundlagenforscher. Uns interessieren in erster Linie die fundamentalen molekularbiologischen Vorgänge. Wenn man allerdings mit PWS-Patienten und deren Angehörigen in Kontakt kommt, dann bringt dies eine ganz neue Motivation mit sich“, betonen die Forscher am Biozentrum in Innsbruck, die in zukünftigen Untersuchungen unmittelbar demonstrieren wollen, dass Knock-out-Mäuse ohne die von ihnen untersuchte ncRNA ähnliche Symptome wie PWS-Patienten zeigen.

Grenzüberschreitende Arbeit

Die Ergebnisse der Arbeiten um die Funktion dieser gehirnspezifischen ncRNA konnten nun im renommierten Journal of Cell Biology publiziert werden. Patrice Vitali, der Erstautor der Publikation, hat dieses Thema im Rahmen seiner - internationalen - Doktorarbeit zwischen dem CNRS in Toulouse und dem Biozentrum Innsbruck bearbeitet. „Er hat wirklich ausgezeichnete Arbeit geleistet“, sagt sein Doktorvater Prof. Hüttenhofer. „Wir standen dabei in Konkurrenz zu vier hochrangigen internationalen Labors, die in der Zwischenzeit alle aufgegeben hatten.“ Gefördert wird das Projekt in Zukunft durch die Europäische Union. Und die Forschung an den kleinen RNA Molekülen geht weiter: Gerade hat Prof. Alexander Hüttenhofer als Koordinator ein Verbundprojekt zur weiteren Erforschung der ncRNAs im Rahmen des GEN-AU-Programms eingereicht. Hier sollen Österreichs SpitzenforscherInnen im Bereich RNomik unter Führung des Innsbrucker Biozentrums in Zukunft zusammenarbeiten.