Vom Molekül zum Verhalten und zurück
Um wirksame Medikamente gegen neuropsychiatrische Störungen entwickeln zu können, muss man möglichst genau über die funktionellen Kreisläufe innerhalb und zwischen den Zellen Bescheid wissen. Solche Grundlagenforschung steht im Zentrum der Arbeit des vor kurzem hier zum Professor ernannten Spezialisten Francesco Ferraguti am Innsbrucker Institut für Pharmakologie.
Der aus Modena stammende und auch als Mediziner ausgebildete Pharmakologe ging nach einem Forschungstraining für Neurobiologie am Karolinska Institutet in Schweden in die Pharmaindustrie und forschte für GlaxoSmithKline in Labors in Verona und in Genf. 1998 wechselte er zurück in die akademische Forschung, zuerst in Cambridge, ab 2000 in Oxford. 2003 kam er nach Innsbruck und erhielt im Juni 2004 den Lehrstuhl für Molekulare Pharmakologie. Vom Beginn seiner Karriere an galt sein ganzes Interesse der Neuropharmakologie, die die Grundlage für die Entwicklung von Medikamenten für neuropsychiatrische Störungen liefert. Dazu gehören Folgeerscheinungen von Schlaganfall ebenso wie Begleiterscheinungen der Parkinsonschen Krankheit, aber auch Schizophrenie, Panikattacken, Depression und viele andere. Allen gemeinsam ist ein gestörter Kreislauf von Neurotransmittern und Rezeptoren in den Gehirnzellen. Prof. Ferraguti hat sich auf die Untersuchung von Zellen in der Amygdala, auch Mandelkern genannt, spezialisiert, einem kleinen, im Inneren des Gehirnlappens liegenden Teil des Gehirns. Er untersucht die Rezeptoren des Neurotransmitters Glutamat auf ihre genaue Position und Funktion, sowie die Regulierungsmechanismen, die Gene dazu bringen, ganz bestimmte Proteine zu exprimieren.
Großzügiger japanischer Pionier
Die acht metabotropen Glutamatrezeptoren wurden vor 20 Jahren von einer französischen Forschergruppe entdeckt und in drei Gruppen eingeteilt. 1991 gelang es einer japanischen Gruppe um den Immunologen Prof. Nakanishi, den ersten Rezeptor zu klonen und seine Struktur zu identifizieren. Großzügig sandte er dem jungen italienischen Forscher im fernen Europa (damals in Verona und Genf) die DNA und legte damit einen Grundstein für Ferragutis Arbeit an der funktionellen Charakterisierung der Rezeptoren. Ferraguti klonte in den nächsten Jahren die Rezeptoren und identifizierte einige Spleißvarianten. Bis 1999 war die Klassifikation der Rezeptoren weitgehend abgeschlossen.
Wo sind sie? Was tun sie? Wie kann man sie manipulieren?
Mit der Beantwortung dieser Fragen in Hinblick auf die Glutamatrezeptoren (mGluR) will die pharmakologische Grundlagenforschung die neuropsychiatrischen Störungen genauer verstehen lernen, um sie wirkungsvoll behandeln zu können. Die erste Frage hatte Prof. Ferraguti für mGluR1 bereits beantwortet. Die zweite hoffte er mittels Gen-knockout zu beantworten. Dabei wird ein Gen, das mGluR1 exprimiert, aus dem Genom eines Tiers (hier einer Maus) ausgeschaltet. Tiere ohne dieses Gen zeigten Haltungs- und Bewegungsdefekte, die mit dem Kleinhirn in Verbindung gebracht werden. Das Gen-knockout ist eine hochkomplizierte Technik, die nur in der Zusammenarbeit mit Spezialisten aus aller Welt, in diesem Fall aus dem Genfer Pasteur-Institut, durchgeführt werden konnte. Gleichzeitig arbeitete ein amerikanisches Team unter Prof. Tonegawa ebenfalls an der Erforschung von Glutamatrezeptoren an der gleichen Maus. Prof. Ferraguti betont das gute Gesprächsklima zwischen den eigentlich konkurrierenden Forschungsteams, die sich sogar auf die Publikation der Ergebnisse in unterschiedlichen Zeitschriften einigten.
Die Oxford Connection
Inzwischen arbeitete Francesco Ferraguti am Medical Research Council in Oxford und dort war die Innsbrucker Pharmakologie keine Unbekannte. Der Vorstand der Pharmakologie, Prof. Hans Winkler, hatte einige Jahre dort zugebracht und kannte Ferragutis Vorgesetzten. Auch von Innsbrucker Seite wurden Kontakte geknüpft, als Prof. Günther Sperk sich für die Arbeit an der mutanten Maus interessierte. Als dann eine Stelle an der Innsbrucker Pharmakologie ausgeschrieben wurde, konnte sich Francesco Ferraguti in dem guten Gefühl bewerben, wesentliche Forscher bereits zu kennen. Er ist gern hier, auch aus persönlichen Gründen, und lobt die gute Ausstattung am Institut. Sorgen bereiten ihm allerdings die fehlenden Mittel für die Nachwuchsförderung, denn er möchte seinen Doktoranden eine Zukunftsperspektive bieten können.
Nischenforschung einzigartig in Europa
Natürlich kann eine Universität wie Innsbruck nicht mit reichen US- oder japanischen Forschungseinrichtungen mithalten, aber Ferraguti sieht die Chance in der Konzentration auf ganz spezielle Nischenforschung. So arbeitet er derzeit an der Entwicklung einer neuen, hochauflösenden, elektronenmikroskopischen Lokalisierungstechnik für Rezeptoren im Nanometerbereich. Diese Technik wurde weltweit nur an zwei Forschungszentren in Japan und in den USA etabliert. Hier kommt Ferraguti die langjährige Zusammenarbeit mit japanischen Forschern zugute, denn Prof. Shigemoto vom Institut für physiologische Wissenschaften in Okazaki hat sich bereit erklärt, die Gruppe von Prof. Ferraguti und Prof. Hess bei der Etablierung dieser Technik am Innsbrucker Institut für Pharmakologie als einziger Institution in Europa zu unterstützen. Auch die äußerst fokussierte Untersuchung kleinster Einheiten hält Ferraguti für chancenreich, wie etwa das FWF-Projekt über die Exprimierung von mGluR1 und seinem Vorkommen im Mandelkern.
Prof. Ferraguti ist Mitglied der International Society for Neurochemistry, die im August 2005 in Innsbruck ihr 20. biennales Meeting abhält, und der Austrian Neuroscience Association, deren 9. Meeting im Juni dieses Jahres in Obergurgl stattfindet. Er ist bei beiden Veranstaltungen an der Organisation beteiligt.