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Für eine erweiterte Sicht des Menschen

Der Sozialmediziner Prof. Walter Kofler bemüht sich um die Weiterentwicklung der Theorie der Medizin hin zu einer erweiterten Sicht vom Menschen und seinen Beziehungen zur Umwelt. Für sein Konzept wurde er 2002 mit der Auszeichnung “Thomas Kuhn – Hope for the Future of a Sustainable World” geehrt. Nun stellt er in London im Rahmen der „Thomas Kuhn Honour Lecture“ seine Theorie vor.

Als Sozialmediziner arbeitet Prof. Walter Kofler an der Schnittstelle von Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften. In diesem Spannungsfeld erkannte er bald die Begrenzungen der konventionellen Sichtweise sowohl der Medizin als auch der Sozialwissenschaften. Alle Gesundheitsrisiken werden heute ausschließlich entweder „biologisch“ oder als psycho-soziale Effekte beschrieben. Untersuchungen der Innsbrucker Sozialmediziner zeigen aber, dass verschiedene biologische Effekte wie Kopfschmerzen oder chronische Bronchitis ursächlich mit der subjektiven Bewertung und Beurteilung von Umweltsituationen verknüpft sein können. Auch die akute Angst vor der Bedrohung durch chemische Kontamination kann physische Zustände bedingen, die akuten toxischen Reaktionen gleichen. Dafür hat Walter Kofler bereits 1986 den Begriff der „Toxikopie“ („Umwelt-Placebo“) geprägt. Für ihn steht fest, dass die Annahme von zwei voneinander abgegrenzten Forschungsansätzen zu vereinfachend zur Behandlung der Gesundheitsrelevanz von Umweltereignissen ist.

Eine „echte Theorie“ nach Einstein

Prof. Kofler schlägt daher die Einführung einer erweiterten Sichtweise vor, die die Kluft zwischen den biologisch orientierten und den psychosozial orientierten Wissenschaften schließen soll. Die zwei bislang unvereinbaren, aber für das Verständnis von Gesundheit unverzichtbaren wissenschaftlichen Zugangsweisen möchte Kofler in Anlehnung an Albert Einstein durch die Einführung neuer ontologischer Grundlagen versöhnen. Die materialistischen Naturwissenschaften und die idealistischen Sozialwissenschaften sollen durch einen neutralen evolutionären Monismus zu einer „erweiterten Sicht“ verschränkt werden. Dies erlaubt die Einführung eines neuen Begriffs in die Naturwissenschaften, nämlich der „Fähigkeit zu organisieren“. Sie gilt als komplementär zur Energie. Beide Befähigungen stehen jedem lebenden Organismus zur Verfügung, so wie jede Münze eine Ober- und eine Unterseite hat, selbst wenn die Beobachtung der einen Seite die Beobachtung der Anderen ausschließt. Daher gilt auch die Kapazität zu Organisieren als begrenzt und in ihrem Niveau vom Evolutionsniveau abhängig.

Empirische Bestätigung

Überzeugend konnte Prof. Kofler die Wirksamkeit seiner Theorie an einer Untersuchung über die Spätfolgen der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki erhärten. Berücksichtig man nämlich nur die spezifischen Strahlenwirkungen, müssten alle korrekt gezogene Stichproben aus den Überlebende dasselbe Erkrankungs- und Sterberisiko aufweisen, wenn man sie auf die gleiche Strahlenbelastung bezieht. Kollektive, die seinerzeit zwei oder mehr körperliche Schäden davon getragen hatten, zeigten aber – trotzdem die Strahlenbelastung standardisiert war – deutlich veränderte und höhere Risiken z.B. für Herzkreislauf-Erkrankungen als das Kollektiv ohne körperliche Schäden. Berücksichtigt man aber, dass auch die Fähigkeit z.B. Repairmechanismen, Wachstum, Heilungsprozesse usw. zu organisieren, begrenzt ist, wird der Unterschied als ursächlich unspezifische Wirkung des erhöhten Organisationsbedarfes erklärbar. Vergleichbare Wirkungen sind generell zu erwarten, wenn ein erhöhter und zusätzlicher Organisationsbedarf auftritt. Dies gilt z.B. für die unterschiedlichsten Umweltkatastrophen. Auch das konnte mit zahlreichen Studien erhärtet werden.

Ehrenvolle Auszeichnung

Für diesen, das wissenschaftliche Alltagsverständnis überschreitenden Ansatz wurde Prof. Walter Kofler 2002 mit dem „Thomas Kuhn – Hope for the Future of a Sustainable World“ ausgezeichnet. Dieser Preis wird alle drei Jahre nach einem sehr umfangreichen Auswahlverfahren Menschen zuerkannt, die außergewöhnliche und viel versprechende Konzepte für die Zukunft der Menschheit präsentieren. Unter dem Ehrenschutz des Chemie-Nobelpreisträgers Yuan T. Lee konnte Kofler nun drei Jahre lang an der Ausformulierung seiner Theorie arbeiten. Die Ergebnisse präsentiert er am 27. August auf dem Weltkongress der International Union of Air Pollution Prevention and Environmental Protection Associations in London.