Molekulare Notbremse für Nervenzellen
Wesentliche funktionelle Aspekte einer Kaliumkanalfamilie konnte die Gruppe um Claudia Sailer und Hans-Günther Knaus von der Division für Molekulare und Zelluläre Pharmakologie der Medizinischen Universität Innsbruck in einer erfolgreichen internationalen Zusammenarbeit mit akademischen Forschungsgruppen in Deutschland, England, Norwegen und den USA aufklären.
Die entsprechenden Ergebnisse wurden innerhalb von acht Wochen in drei Publikationen veröffentlicht, alle in der angesehenen amerikanischen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS). Ca2+-aktivierte K+ Kanäle mit hoher Leitfähigkeit (so genannte BK Kanäle) werden in unterschiedlichsten Geweben des menschlichen Körpers gefunden, so im Zentralnervensystem, im glatten Muskel der Gefäße und des Uterus, im Skelettmuskel, in der Niere, dem Darm, dem Auge und auch in verschiedenen Tumoren. Sie funktionieren als mikroskopisch kleine elektrische Schalter die durch Depolarisation der Zellmembran und gleichzeitigen Anstieg der intrazellulären Calciumkonzentration angeschaltet werden. Nach ihrer Aktivierung strömt Kalium entlang seines Konzentrationsgradienten aus dem Zellinneren nach außen. Dies führt zu einer Repolarisation von Muskelzellen bzw. (Nach)hyperpolarisation von Nervenzellen. Bei elektrisch unerregbaren Geweben wie z.B. Epithelien wird durch die Aktivierung dieses Ionenkanals der Flüssigkeitstransport über so genannte Wasserkanäle reguliert.
Was bedeutet nun eine Aktivierung dieses Ionenkanals für die unterschiedlichen Gewebe? Die elektrische Erregbarkeit von Nervenzellen wird durch die Kanalaktivierung unterdrückt. Damit funktionieren BK Kanäle gleichsam als sehr schnelle elektrische Notbremsen die innerhalb von wenigen Millisekunden aktiviert werden können und die Ausbreitung von hochfrequenten Entladungsmustern wie sie z.B. bei generalisierten Krampfanfällen vorkommen, verhindern. In Blutgefässen regulieren sie den Gefäßtonus und damit den Blutdruck, in endokrinen Geweben wie der Hypophyse und Nebenrinde und -mark sind sie an der Steuerung der Neurotransmitterfreisetzung mitbeteiligt während sie in der Niere, dem Dünn- und Dickdarm und dem Auge die Flüssigkeitssekretion und -ausscheidung mitregulieren.
Langjährige internationale Zusammenarbeit erfolgreich abgeschlossen
Arbeitsgruppen aus Deutschland (Tübingen), England (Edinburgh), Norwegen (Oslo), USA (Los Angeles) und Österreich (Innsbruck) haben in einer langjährigen Zusammenarbeit die Funktion dieses Ionenkanals durch Kombination unterschiedlichster Methoden aufgeklärt. Die entsprechenden Daten wurden in drei thematisch zusammenhängenden Publikationen in PNAS veröffentlicht. Diese drei Veröffentlichungen in PNAS in so kurzer zeitlicher Abfolge, betont Hans-Günther Knaus, waren nur durch die Kombination unterschiedlichster molekularbiologischer, zellphysiologischer, elektrophysiologischer und immunologischer Methoden möglich. Wir sind durch gemeinsame Forschungsprojekte der Europäischen Kommission und des Welcome Trusts wissenschaftlich eng verbunden und bringen unterschiedliche Expertisen in diese internationale Zusammenarbeit ein. Wir konnten wesentliche Aspekte der Regulation dieses Ionenkanals durch verschiedene Phosphatasen und Kinasen und die Zellexpression im Detail untersuchen. Weiters gelang es uns, ein transgenes BK Kanal-defizientes Mausmodell zu erzeugen und im Detail zu charakterisieren.
Überraschenderweise zeigten diese Tiere altersabhängig einen sehr komplexen Phenotyp der zurzeit noch nicht in allen Aspekten verstanden ist. Die auffälligsten Charakteristika sind eine (zerebelläre) Ataxie, Bluthochdruck und primärer Hyperaldosteronismus, eine hyperreaktive Harnblase und altersabhängig zunehmende Taubheit und Infertilität. Diese Symptome wurden mit höchster Priorität bearbeitet und sind teilweise nun veröffentlicht. Weitere gemeinsame Experimente und Publikationen sind in Vorbereitung.
Die Innsbrucker Wissenschaftler um Hans-Günther Knaus wurden durch den österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, die Europäische Union und seit 2003 durch einen Welcome Trust Grant Edinburgh-Tübingen-Innsbruck gefördert.