Notfallmedizin in der Schwerelosigkeit
Richtig beatmen ist bereits mit festem Boden unter den Füßen eine diffizile Sache, in der Schwerelosigkeit wird es aber schon zur Kunst. Im Rahmen einer Teststudie hat ein internationales Team unter Innsbrucker Beteiligung das Intubieren unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit erprobt. Die Testreihe wurde von der ESA durchgeführt und dient der Vorbereitung bemannter Raumflüge.
Medizinische Notfälle an Bord eines Raumschiffes kommen zwar selten vor. Da das Bordpersonal aber auf sich allein gestellt ist und ein Arzt nicht notwendiger Weise zu jeder Zeit zur Verfügung steht, könnten die medizinisch nur rudimentär ausgebildeten Besatzungsmitglieder gezwungen sein, Sofortmaßnahmen selbst durchzuführen. Experten gehen davon aus, dass es an der Internationalen Raumstation (ISS) theoretisch alle fünf Jahre notwendig sein wird, einen Astronauten zurück zur Erde zu evakuieren. Auch an Bord einer zukünftigen bemannten Mission zum Mars ist die Besatzung praktisch komplett auf sich selbst angewiesen, wenn während des Fluges Notfallmanöver im medizinischen Bereich durchgeführt werden müssen.
Intubieren ohne Boden unter den Füßen
Aus diesem Grund hat die ESA vergangene Woche im französischen Bordeaux während der 37. ESA Parabelflugkampagne im Rahmen des Projekts ADAMA erstmals unterschiedliche Beatmungsmethoden unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit getestet. Mit dabei war der Innsbrucker Astrophysiker Gernot Grömer, Alexander Soucek aus Österreich, Cristina de Negueruela aus Spanien und Michael Thomsen aus Dänemark. Hinter der Flugcrew steht ein großes Team an Helfern, unter ihnen auch Dr. Christian Keller und Dr. Thomas Haas von der Universitätsklinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin der Medizinischen Universität Innsbruck als medizinisch-wissenschaftliche Berater. Bei den Untersuchungen bestand die Flugbesatzung aus vier Nicht-Anästhesiologen sowie einer Testperson mit 12-jähriger Erfahrung als Notfallsanitäter. Damit konnte eine realistische Astronautencrew simuliert werden. An Bord des Flugzeuges wurde eine modifizierte Puppe verwendet, die den zu intubierenden Patienten darstellte. Jede abgeschlossene Sequenz des Experimentes, insgesamt waren es 90 Sequenzen, bestand aus der Durchführung einer vollständigen endotrachealen oder Lanrynxmasken-Intubation durch den sogenannten Intubator, unterstützt von einem Assistenten. Jede Intubation musste innerhalb der 20 Sekunden dauernden Phase der Schwerelosigkeit an Bord abgeschlossen sein.
Berg- und Talbahn brutal
Um Schwerelosigkeitsflüge durchzuführen, verwendet die ESA einen speziell adaptierten Airbus A-300. Das Flugzeug startet vom Flughafen Borderaux-Mérignac und steigt auf eine Flughöhe von rund 6.000 Metern innerhalb einer für den restlichen Flugverkehr gesperrten Testflugzone über dem Nordatlantik. Der Parabelbogen beginnt, indem die Maschine bei vollem Triebwerksschub in einem 47 Grad-Winkel steil nach oben gezogen wird. 20 Sekunden später, in einer Höhe von 7.600 Metern, wird der Triebwerksschub fast vollständig zurückgenommen. Nun beginnt die 20 Sekunden dauernde Schwerelosigkeitsphase an Bord. Ähnlich wie ein in die Luft geworfener Ball eine Kurve zieht, steigt die Maschine noch etwas weiter (maximale Höhe im Scheitelpunkt der Parabel 8.500 Meter), bevor sich die Nase des Flugzeuges der Parabel folgend abwärts neigt und der Airbus steil nach unten fällt. Nun werden die Triebwerke voll durchgestartet, um das Flugzeug wieder abzufangen und es schließlich auf 6.000 Metern Höhe wieder in Normalflug zu bringen, von wo aus die nächste Parabel starten kann. An einem Tag werden so insgesamt 30 Parabeln geflogen, die Gesamtflugzeit beträgt drei Stunden. Die jährlich durch ESA-Flüge erzielte Schwerelosigkeits-Gesamtdauer beträgt 90 Minuten; wertvolle Forschungszeit für Wissenschaftler ohne den kostspieligen Weg ins All machen zu müssen.
Wertvolle Daten für Notfallmedizin im All
Die Auswertung der Daten wird mindestens einen Monat dauern. Schon jetzt kann man aber sagen, dass sich die Beatmungen unter Schwerelosigkeitsbedingungen erheblich von jeglicher Simulation unter Normalbedingungen unterscheidet. Die ersten Untersuchungen der gewonnenen Daten zeigen interessante Ergebnisse sowohl im Bezug auf den direkten Vergleich von endotrachealer Intubation und Larynxmaske als auch auf die Kinetik von Puppe bzw. Patient und Intubator. Die konkreten Ergebnisse werden auf einer Pressekonferenz Anfang Juli an der Uniklinik Innsbruck vorgestellt, da das Forschungsprojekt von der Universitätsklinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin maßgeblich unterstützt wurde.