Die Ökonomie der Aufmerksamkeit
Ein zugleich faszinierendes und ernüchterndes Bild zeichnete der Architekturtheoretiker und Philosoph Prof. Georg Franck in einem Vortrag für den Arbeitskreis Wissenschaft und Verantwortlichkeit von der Welt der Wissenschaft. Geld allein ist zu etwas Gewöhnlichem geworden, in der Ökonomie der Aufmerksamkeit gilt es das Einkommen an Beachtung zu maximieren.
Wenn wir den Soziologen Glauben schenken dürfen, dann leben wir heute in einer Informationsgesellschaft. Die Wissenschaft hat sich darin nicht nur ein enormes Prestige erworben, sie ist nicht nur kulturell und sozial ungemein erfolgreich, nach Prof. Georg Franck vom Institut für EDV-gestützte Methoden in Architektur und Raumplanung der TU Wien fungiert sie auch als Basisökonomie der Wissensgesellschaft. Sie hat damit jene Leitfunktion übernommen, die in der industriellen Gesellschaft der Fabrik zukam. Die Verarbeitung von wissenschaftlicher Information und die Produktion von Erkenntnis stehen heute im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens.
Zahlungsmittel Aufmerksamkeit
Wenn man von den Kosten für Bücher und Zeitschriften einmal absieht, ist das publizierte Wissen frei verfügbar. Will man es aber für die eigene Produktion verwenden, dann muss dafür eine Lizenz gelöst werden, und zwar in Form eines Zitats, so Prof. Franck. Die Gebühr dafür wird in Form von Aufmerksamkeit entrichtet, die der zitierende dem zitierten Autor gewährt. Darin liegt nach Franck das Grundprinzip des mentalen Kapitalismus. Das sehr heterogene Feld der Wissenschaft wird über das knappe Gut Aufmerksamkeit homogenisiert. Man könnte die Aufmerksamkeit daher auch als Währung der zeitgenössischen Ökonomie bezeichnen, so Franck weiter.
Das Geschäft mit den Zitaten
Der erste Bankier der mentalen Ökonomie war Eugene Garfield, der Anfang der 60er Jahre das Institute for Scientific Information (ISI) in Philadelphia gegründet hat. Er hat die Messung der wissenschaftlichen Leistung mittels Zitationsanalyse erfunden. Seither haben sich der Science Citation Index und seine Geschwister zum Leitinstrument der wissenschaftlichen Community gemausert. Es klingt grausam, betont Prof. Franck, aber diese Messung ist unglaublich gut. Sie ist so raffiniert, dass sich das gar niemand ausdenken hätte können. Denn die Lüge bestraft in diesem System immer den Lügner selbst. Unter- oder übertriebenes Zitieren schadet dem Zitierenden. Freilich ist auch der Markt der Wissenschaft nicht vor Manipulationen gefeit. So ruinieren Zitationskartelle zum Beispiel den vermeintlich perfekten Handelsalltag.
Die Schattenseiten der Wissensökonomie
Nach Franck funktioniert die Ökonomie der Aufmerksamkeit nach den klassischen Gesetzen des Kapitalismus, mit all seinen Stärken und Schwächen. Sie ist höchst dynamisch und mobilisiert unglaublich gründlich. Genau dem verdankt die Wissenschaft ihren historischen Aufstieg. Freilich sind auch Entfremdung und Ausbeutung in diesem System nichts Unbekanntes, nimmt doch die Ökonomie der Aufmerksamkeit keine Rücksicht auf den Gebrauchswert des erzeugten Wissens. Die Frage nach dem Wert der Erkenntnis für das Wohl der Menschheit bleibt außen vor. Auch ist Aufmerksamkeit extrem ungleich verteilt. Wenige verfügen über ganz viel, und viele verfügen über ganz wenig. Bereits in den 60er Jahre prägte Robert Merton dafür den Begriff des Matthäus-Effekts: Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden, zitiert Prof. Georg Franck abschließend aus der Bibel.