Vom Jammern und Klagen
Im Innsbrucker Haus der Begegnung fand am vergangenen Wochenende das 10. Symposium Psychiatrie und Seelsorge statt. Unter dem Motto Die Klage standen dabei die Erfahrung psychischen Leids und deren Bewältigung im Mittelpunkt. Neben Experten unterschiedlicher Fachrichtungen und Laien nahm auch der Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer an der Tagung teil.
Es gibt eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz, heißt es im Buch Kohelet des Alten Testaments. Das Klagen des Menschen muss als Zeichen existentieller Not gedeutet werden. In unserer Zeit ist es freilich oft auch das Symptom einer depressiven Erkrankung, die heute zu den häufigsten Beeinträchtigungen der menschlichen Gesundheit zählt. Sowohl die Psychiatrie und Psychotherapie als auch die Seelsorge antworten auf das Klagen mit einem Angebot an konkreten Hilfestellungen. Theologen, Psychiater, Seelsorger, Psychotherapeuten, Philosophen und Soziologen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum diskutierten von Donnerstag bis Sonntag diese Fragen. Verschiedene Workshops und religiöse Feiern ergänzten das umfangreiche Programm.
Sprachlicher Ausdruck von Gefühlen
Die Klage und das Jammern sind die sprachlichen Ausdrucksformen der Traurigkeit, so Prof. Hartmann Hinterhuber, Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie in seinem Vortrag. Schon in den ältesten schriftlichen Äußerungen des Menschen fänden sich erschütternde Dokumente der Klage. Durch das Klagen, aber auch durch das Schimpfen und Kritteln, gebe der Sprecher zu erkennen, dass er den eigenen Wertverlust emotional nicht akzeptiere. Der Klagende will und kann dem anderen keine Schuld anlasten, er erwarte keine Hilfe oder Ratschläge, sondern in erster Linie Verständnis, Trost oder Aufmunterung. Die klagenden Äußerungen haben nicht den Charakter einer Konfrontation: Dies unterscheidet das Klagen vom Schimpfen, das als Bekundung eines aggressiven Zustandes zu interpretieren ist. Im Unterschied dazu dient das Jammern der Entladung oder Abreaktion einer emotionalen Befindlichkeit, betonte Prof. Hinterhuber. Im Klagen und Jammern biete der Betroffene ausdruckstark in Worten, Mimik und Gestik seinen Schmerz und seinen Kummer, seine Ängstlichkeit und seine Befürchtungen dar. Dabei sind das Klagen und Jammern in der Häufigkeit ihrer Manifestation abhängig von Kultur und Tradition. Die Kultur wirkt immer prägend auf die Gestaltung von psychischen Erkrankungen, sie kann diese stabilisieren oder provozieren. Erst die korrekte Bewertung von Klagen und Jammern ermöglicht nach Prof. Hinterhuber daher eine zielführende Diagnostik und Therapie affektiver Störungen besonders bei Menschen, die nicht dem eigenen Kulturkreis angehören.
Ein Ort der Begegnung
Veranstaltet wurde das Symposium von der Innsbrucker Universitätsklinik für Psychiatrie und der Seelsorgestelle der Universitätsklinik für Psychiatrie in Wien. Die Tagungsreihe "Psychiatrie und Seelsorge" bildet seit 1988 einen Ort der Begegnung zwischen den verschiedenen Berufsgruppen, die um das psychische Wohl des Menschen bemüht sind. Durch diese interdisziplinären Gespräche soll versucht werden, der Öffentlichkeit ein umfassendes Verständnis der seelischen Krankheiten und ihrer Heilungsmöglichkeiten nahe zu bringen.